Micha Brumlik, Entstehung des Christentums

"Als Entstehungsgeschichte einer Religion, die den Individualismus ebenso hervorgebracht hat wie gewalttätige Staaten, ist die Geschichte des frühen Christentums auch die Geschichte der Individuen, die es geprägt haben." (7)

Micha Brumlik geht der spannenden Frage nach, wie sich das Christentum von seinen Anfängen bis zu seiner Etablierung als Staatsreligion im Römischen Reich etablieren konnte und welche theologischen und organisatorischen Veränderungen sich während dieser Zeit ereignet haben. Als jüdischer Wissenschaftler bietet Brumlik einen angenehm neutralen Blick auf die wichtigsten Ereignisse und Stationen des Christentums bis ins ausgehende 4. Jahrhundert.

Schon die Anfänge des Christentums, die in traditionellen Darstellungen als Geschichte der "Urchristen" beschrieben werden, setzt Brumlik in einen neuen Kontext, nämlich als Teil der Geschichte des vorrabbinischen Judentums. Er macht damit deutlich, dass die Trennung zwischen Judentum und Christentum nicht von Anfang an vorgezeichnet war, sondern sich erst im Laufe der folgenden Jahrhunderte vollzogen hatte. Dabei lässt sich die Entwicklung des Christentums nicht ohne die Geschichte des römischen Kaiserreiches verstehen und erweist sich als eine "Synthese von jüdisch-christlicher Religion und römischem Machtanspruch" (7)

In fünf Kapiteln erfahren wir die wichtigsten Stationen des Christentums von der Vorgeschichte des Christentums bis zu dem Zeitpunkt, als sich das Christentum endgültig gegen die anderen Religionen durchzusetzen vermag. Im Kaptel 1 "Das Urchristentum" wird die zentrale Bedeutung des Paulus für die christliche Theologie erläutert, der als jüdischer Emissär beauftragt worden war, den Einfluss der Anhänger des Jesus von Nazareth in jüdischen Gemeinden zu mindern. Auf seiner Reise nach Damaskus erfolgt mit seiner Bekehrung die Vorgeschichte des Christentums: aus Saulus wird Paulus.

Das 2. Kapitel "Das Auseinandergehen der Wege" beschreibt die langsame Trennung von Judentum und Christentum, die sich zunächst in der Liturgie des Gebets und im Verhältnis zum Bild Gottes ausdrückte. Während für das rabbinische Judentum eine Verbildlichung Gottes unvorstellbar war, blieb für das Christentum die Darstellung von Jesus Christus ein wesentliches, wenn auch immer wieder umstrittenes Merkmal.

Das 3. Kapitel "Christentum und römischer Staat" zeigt die herausragende Bedeutung Kaiser Konstantins für die weitere Entwicklung des Christentums seit dem frühen 4. Jahrhundert. Als skrupelloser Kaiser war er an einem einheitlichen christlichen Glauben und an einer einheitlichen Reichskirche überaus interessiert und nutzte geschickt die Religion als Stütze der Macht.

Es war am Ende Konstantin, der der christlichen Religion ihre feste Form und Grundlage verordnete, auf der sie - unabhängig von allen konfessionellen Differenzen - bis heute beruht. (55)

Im 4. Kapitel "Der Glaube wird Institution" werden die Entstehung der Kirche, ihre Strukturen und Institutionen aus ihrem historischen Umfeld heraus nachgezeichnet, wobei die wesentliche Rolle und das Denken der sogenannten Kirchenväter erläutert werden. Neben der Entwicklung des Priesteramts und der Kirchenhierarchie kommt auch das wichtige Thema "Frauen und Kirche" zur Sprache. Das letzte Kapitel "Triumph des Christentums" beschreibt, wie es dem Christentum gelingt, sich schließlich gegen die anderen Religionen im Römischen Reich durchzusetzen.

Mich Brumlik gelingt es aufgrund seiner Distanz zum Christentum dessen Anfänge als Teil der jüdischen Religionsgeschichte und dessen Entwicklung als Teil der Geschichte des römischen Kaiserreichs zu betrachten und damit einen wesentlichen Einblick in die Herausbildung als eigene Religion zu eröffnen. Damit wird dem gewohnten Blick, als wäre das Christentum, seine Einrichtungen und hierarchischen Strukturen schon von Anfang an bei Jesus von Nazareth vorgezeichnet, das Bild einer über die Jahrhunderte andauernde historische Entwicklung gegenüber gestellt.

Ein aufklärerisches und überaus empfehlenswertes Sachbuch, das historisch bekannte Fakten auf verständliche und ansprechende Weise einem interessierten breiten Publikum näher bringt. Und was besonders gefällt: die Entstehung des Christentums liest sich von der ersten bis zur letzten Seite spannend wie ein Kriminalroman.

Micha Brumlik, Entstehung des Christentums. Kurze Geschichte in 5 Kapiteln, mit ca. 50 Abbildungen in Farbe und s/w, ab 16 Jahren
Berlin: Verlag Jacoby & Stuart 2011, 220 Seiten, 17,50 EUR, ISBN 978-3-941787-14-8

Weiterführende Links:
Verlag Jacoby & Stuart: Micha Brumlik, Entstehung des Christentums
Wikipedia: Micha Brumlik

Andreas Markt-Huter, 05-09-2011