Lauren St John, Die weiße Giraffe

"Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als sich deine Phantasie erträumen mag", ließ William Shakespeare einst seinen Hamlet sagen.

In Lauren St. Johns Jugendroman Die weiße Giraffe verbinden sich übersinnliche Fähigkeiten und die unvergängliche Faszination über das Wildleben Afrikas zu einem spannenden Thriller in dem Selbsterkenntnis, Tierschutz und Wilddiebe im Mittelpunkt stehen.

Martine Allen lebt in England und hat gerade ihren 11. Geburtstag gefeiert, als ihr Haus abbrennt und sie mit einem Schlag zur Vollwaisen wird. Das Sozialamt teilt ihr mit, dass sie in Zukunft bei ihrer Großmutter Gwyn Thomas, von der sie bis zu diesem Tag nichts gewusst hatte, in einem Wildreservat bei Kapstadt in Südafrika leben werde. Auch wenn sie sich ihrer Schule nie wirklich wohl gefühlt hat, verlässt Martine England doch mit gemischten Gefühlen. Der Brief, den sie von ihrer Großmutter erhalten hatte, machte ihr nicht den Eindruck, wirklich willkommen zu sein.

In Kapstadt angekommen, steht Martine zunächst einsam und verloren am Flughafen, bis sie endlich von Tendai abgeholt wird, dem Fährtensucher seiner Großmutter, der ihr vom ersten Augenblick an sympathisch ist. Auf dem Weg in das Wildreservat ihrer Großmutter, macht Tendai einen Abstecher zu seiner Tante Grace, die sie zum Essen einlädt. Voller Erstaunen erfährt Martine, dass Grace ihre Mutter gekannt hatte.

Plötzlich packte Grace sie am Arm. "Warte", zischte sie. Als sie ihre Hand auf Martines Stirn legte, schoss es wie ein Stromstoß durch ihren Körper. Grace blickte sie mit weit geöffneten Augen an. "Du hast die Gabe, Kind", flüsterte sie. "Genau so, wie es gesagt haben die Älteren." "Welche Gabe?", fragte Martine im Flüsterton zurück. Doch Grace schüttelte nur den Kopf und sagte: "Pass gut auf, Kind. Die Gabe kann sein ein Segen, aber auch ein Fluch. Du musst entscheiden weise." (37f)

Nach dieser verwirrenden Begegnung lernt Martine ihre Großmutter Gwyn kennen, deren distanziertes Verhalten ihr ebenso Sorgen bereitet, wie ihre neue Schulklasse, die von der sogenannten "Fünferbande", einer Gruppe der fünf beliebtesten Schülerinnen und Schüler dominiert wurde. Da ist aber auch noch der Außenseiter der Klasse, ein Mischlingsjunge Namens Ben, der seit er an der Schule ist, noch kein Wort gesprochen hat.

Ihre eigentliche Heimat entdeckt Martine hingegen im afrikanischen Busch, wo sie sich heimlich eines Nachts hin schleicht. Als eine aufgescheuchte Kobra gerade zum tödlichen Biss ansetzt, rettet ihr eine weiße Giraffe das Leben.

"Wieder streckte sie die Hand aus und ging ein paar Schritte in Richtung der Giraffe. "Schon gut", sagte sie besänftigend. "Schon gut. Ich will dich doch nur streicheln. Ich tu dir doch nichts." Diesmal blieb die Giraffe stehen. Als Martines Finger ihr Fell berührten, zuckte sie zwar nochmals kurz zusammen, doch sonst blieb sie ruhig. Martine spürte, wie ein elektrischer Strom ihren Arm hochschoss. Es war wie damals, als Grace ihr die Hand auf die Stirn legte." (76)

Martines wunderbare Freundschaft zur weißen Giraffe gerät in Gefahr, als Wilderer Jagd auf die Giraffe machen. Bei der Flucht vor den Jägern kommt das Mädchen einer uralten Prophezeiung auf die Spur, die sie auch der Vergangenheit ihrer Eltern näher bringt.

Lauren St. John ist eine herausragende Geschichtenerzählerin. Sie entführt die jungen Leserinnen und Leser in die magische und geheimnisvolle Welt Afrikas. Vor unseren Augen erleben wir die Entwicklung eines isolierten englischen Schulkindes zu einem selbstbewussten Mädchen, das den Tod ihrer Eltern überwinden muss und selbstbewusst mit ihren außergewöhnlichen Fähigkeiten umzugehen lernt.

Die weiße Giraffe erzählt aber nicht nur die Entwicklungsgeschichte eines jungen Mädchens sondern auch ein packender Thriller, bei dem ein vergangener Mord geklärt und Wilddieben das Handwerk gelegt wird. Ein überaus spannendes und lesenswertes Abenteuer, das einen in seinen Bann ziehen wird.

Lauren St John, Die weiße Giraffe. Ill. v. David Dean, Übers. v. Christoph Renfer, ab 11 Jahren
Weinheim: Verlag Beltz & Gelberg 2010, 240 Seiten, 8,20 EUR, ISBN 978-3-407-74226-1

Weiterführende Links:
Verlag Beltz & Gelberg: Lauren St John, Die weiße Giraffe
Homepage: Lauren St. John

Andreas Markt-Huter, 21-02-2011