Anna Xiulan Zeeck, Das Mädchen am Rande der Stadt

„Warum zieht es dich überhaupt in so eine verdammte Stadt?“ „Ich möchte gerne eine Städterin werden.“ Im gleichen Moment bedauerte sie ihre unüberlegte Antwort. Wie konnte sie einem fremden Jungen von ihren geheimen Gedanken erzählen.“ (22f)

Song Hanli ist ein zwölfjähriges Mädchen, das auf dem Land im nördlichen China bei ihren Großeltern lebt. Ihre Eltern arbeiten schon seit vielen Jahren in Peking und holen Song Hanli zu sich in die Hauptstadt. Gemeinsam mit Weng Dong, einem 14-jährigen Nachbarjungen, macht sich das junge Mädchen auf die Reise.

Zunächst ist sie tief beeindruckt von der Modernität und dem Reichtum der Hauptstadt, aber bald schon bemerkt sie, dass es neben dem Luxus, dem Fortschritt und den schönen Villenvierteln auch tiefste Armut und heruntergekommene Armenviertel gibt, in denen sie bei ihren Eltern wohnen wird.

Song Hanli lernt den zwölfjährigen Nachbarjungen Tang Ming kennen, der mit ihr die Wanderarbeiterschule der näheren Umgebung besucht, weil ihm für den Besuch der städtischen Schule die notwendigen behördlichen Unterlagen fehlen. Tang Ming kümmert sich rührend um seine dreijährige Schwester und hält auch seine beschützende Hand über Song Hanli.

Bald schon aber wird das Areal der Schule verkauft und die Kinder müssen die Schule verlassen. Song Lis Vater gelingt es die notwendigen Dokumente für den Besuch seiner Tochter in der städtischen Schule zu besorgen. Aber erst als er dem zuständigen Beamten auch ein entsprechendes Bestechungsgeld überreicht, wird sie für die Aufnahmeprüfung  an der Schule zugelassen.

Während Song Hanli die Aufnahme an die Schule gelingt, kann ihr Freund Weng Dong in Englisch nicht die nötige Punktezahl erreichen und bleibt vom Besuch der städtischen Schule ausgeschlossen. Er beschließt sich als 16-jähriger auszugeben, um in der Fabrik der Stadt zu arbeiten und sich in seiner Freizeit weiter zu bilden.

Für Song Hanli beginnt eine schwere Zeit in der neuen Schule, wo sie von ihren Mitschülern als Kind einer Wanderarbeiterfamilie ausgegrenzt wird. Besonders ihre Schulkollegin Su Ya, die aus einer reichen Familie stammt und deren Großvater sogar ein Minister der kommunistischen Regierung war, quält Song Hanli bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Sie erfährt dabei am eigenen Leib, wie groß sich die Kluft zwischen Arm und Reich durch die chinesische Gesellschaft zieht und wie der arme Teil der Bevölkerung jeden Tag um das Nötigste zum Überleben kämpfen muss, während die Reichen im Luxus schwelgen und voll Verachtung auf die Armen herabschauen.

Eines Tages kommt es an ihrer neuen Schule zu einer entsetzlichen Tragödie. Ein Amokläufer ermordet Schulkinder, um sich für die Ausbeutung als Arbeiter zu rächen.

Ihr wollt wissen wer ich bin? Ich stelle mich vor: Ich bin ein Mensch wie ihr. Aber ihr habt mich behandelt wie ein Tier. Ihr lasst mich arbeiten bis zur Erschöpfung und gebt mir einen Hungerlohn. Dann setzt ihr mich auf die Straße, ohne ein Dach über dem Kopf, mitten im Winter. (103)

Anna Xiulan Zeeck erzählt eine bewegende Geschichte vor dem Hintergrund eines wirtschaftlich prosperierenden Chinas. Am Beispiel eines jungen Mädchens erleben wir hautnah mit, wie die Hoffnungen und Träume der Landbevölkerung von einem besseren Leben in den aufsteigenden Wirtschaftszentren zerplatzen. Während ein Teil der Bevölkerung vom großen Wachstum profitiert, wird der andere Teil gnadenlos ausgebeutet und verachtet.

„Das Mädchen am Rande der Stadt“ erzählt jedoch nicht nur von Unterdrückung und Ausbeutung, sondern auch vom Aufbegehren gegen die Ausbeuter und von der Macht der Träume, sich von der Ungerechtigkeit nicht brechen zu lassen sondern für eine bessere Zukunft für alle zu kämpfen.

Anna Xiualan Zeecks Roman steckt voll Hoffnung und Kraft und zeigt die Seite eines Landes, das uns trotz aller Berichterstattungen ein wenig fremd erscheint und bringt uns gleichzeitig seine Menschen ganz nah. Manche geschilderten sozialen Konflikte erscheinen und schon fern andere wiederum kommen einem befremdlich vertraut vor. „Das Mädchen am Rande der Stadt“ ist ein ergreifendes Plädoyer für soziale Gerechtigkeit, Solidarität und vor allem Mitgefühl, ein Buch das allen junge Leserinnen und Lesern wärmstens weiterempfohlen werden kann.


Anna Xiulan Zeeck, Das Mädchen am Rande der Stadt. Ab 10 Jahren
Oldenburg: Desina-Verlag 2011, 128 Seiten, Hardcover, 13,30 €, ISBN: 978-3-940307-21-7

Weiterführender Link:

 

Andreas Markt-Huter, 21-03-2012

Bibliographie

AutorIn

Anna Xiulan Zeeck

Buchtitel

Das Mädchen am Rande der Stadt

Erscheinungsort

Oldenburg

Erscheinungsjahr

2011

Verlag

Desina

Seitenzahl

128

Preis in EUR

13,30

ISBN

978-3-940307-21-7

Lesealter

Zielgruppe

Kurzbiographie AutorIn

Anna Xiulan Zeeck wurde in China geboren und erlebte in ihrer frühen Jugend die Zeit der Kulturrevolution. Sie studierte in China und später in Deutschland. Sie ist jetzt Verlegerin und Schriftstellerin und lebt mit ihrer Familie in Oldenburg.