Helmuth Schönauer: Ein Autor, Bibliothekar und Rezensent geht in Pension – Teil 2

Foto: Helmuth SchönauerDer Schriftsteller und Bibliothekar Helmuth Schönauer, der nie um ein kritisches Bonmot verlegen ist, hat nach vierzig Jahren Dienst für die Öffentlichen Bibliotheken in Tirol seine „Dienstaugen“ geschlossen“ und wird sich neuen Herausforderungen widmen.

Wohl kaum einer kennt das Öffentliche Büchereiweisen so genau wie Helmuth Schönauer, der jahrzehntelang eine nach der anderen Bücherei mit Buchpaketen und bibliothekarischem Rat, vor allem aber mit frischem und positivem Blick versorgt hat.

„Lesen in Tirol“ verabschiedet und bedankt sich mit einem Interview in drei Teilen bei einem vielseitigen Freund und Förderer des Schreibens, Lesens und Büchereiwesens.


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Teil 2: Helmuth Schönauer - Bibliothekar mit Leidenschaft

 

Lesen in Tirol: Du gehst in den nächsten Tagen in deinem Hauptberuf als Bibliothekar in Pension. Wie bist du zum Bibliothekswesen gekommen und wie haben sich deine Aufgaben und das Büchereiwesen verändert?

Helmuth Schönauer: Während meiner Arbeit beim ORF und meines Germanistik-Studiums gab es zufälliger Weise ein Projekt zum Thema „Lesen“ und gleichzeitig ist in der Förderstelle für Erwachsenenbildung eine Chauffeurin ausgefallen, die Bücher an einzelne Büchereien zugestellt hat. Ich habe in dieser Situation den Vorschlag gemacht, nicht nur wie die Post oder ein Paketdienst die Bücher zuzustellen, sondern die Gelegenheit des persönlichen Kontakts zu nutzen und den Büchereien auch ein Programm anzubieten.

Aus diesem Vorschlag heraus hat sich der Job des sogenannten „Wanderbibliothekars“ entwickelt, wo mit Büchern eine Bibliothek besucht worden, die für ein halbes Jahr in der Bibliothek verblieben und dann abgeholt worden sind, um anschließend wieder an eine andere Bibliothek verliehen zu werden. Die Vorteile liegen auf der Hand: niemand muss etwas vorbereiten und alle haben immer frische Bücher. Außerdem erhalten die Büchereien eine Jahressubvention und Unterstützungen für den Um- und Ausbau der Bücherei. Damit sind von der Förderungsstelle alle Tiroler Bibliotheken in den Fokus geraten und wir haben erkannt, dass die Büchereien im Grunde die größte Kultureinrichtung Tirols sind. Meine Standardzahlen dazu lauten: 200 Bibliotheken, 2.000 Bibliothekare und 200.000 Leserinnen und Leser, das sind Zahlen, die sich in den vergangenen Jahren nicht wesentlich verändert haben und die den Besucherzahlen des Tiroler Landestheaters entsprechen.

Bei den Bibliotheken gleich geblieben ist der Umstand, dass sich ein Drittel immer im Umbau befunden hat, ein Drittel schwach und ein Drittel perfekt gelaufen ist. In diesen Zuständen haben sich die verschiedenen Büchereien im Laufe der Zeit meist abgewechselt.

Foto: Helmuth Schönauer
"Die Öffentlichen Büchereien sind die größte Kultureinrichtung Tirols: 200 Bibliotheken,
2.000 Bibliothekare und 200.000 Leserinnen und Leser."
Foto: Markt-Huter

 

Parallel dazu hat sich herausgestellt, dass es keine richtige Ausbildung zum Bibliothekar gibt, weshalb wir bundesländerübergreifend für das Bundesinstitut für Erwachsenenbildung in Strobl mit dem österreichischen Bibliotheksverband ein Curriculum entwickelt haben. Auch die heutigen Ausbildungslehrgänge für Bibliothekare gehen auf diese Anfänge zurück.

Damals stand vor allem das soziale Lernen im Vordergrund, sodass in einem wunderschönen Bildungshaus die Bibliotheksarbeit von A – Z, von „Lesebetreuung bis Friedhofspflege“ erlernt werden kann. Der nächste größere Sprung war das Verschieben der Organisation des Lesens in die Bundesländer. Um das Jahr 2000 wurde die österreichweite Bibliothekslandschaft aufgelöst und den jeweiligen Bundesländern übertragen. Dabei hatten wir in Tirol offen gesagt großes Glück, weil wir das Bibliothekswesen in Zusammenarbeit mit der Universitätsbibliothek aufbauen konnten.

In diesem Zusammenhang hat sich auch das Zustellen von Büchern durch das Aufkommen der Digitalisierung verändert. Die physische Zustellung wurde durch ein gut funktionierendes Online-System ersetzt, wo jeder quasi vom Bett aus lesen kann, was er will. Wir waren also stets auf der Höhe der Zeit. Ich sehe das Büchereiwesen immer noch als Erfolgsprojekt und habe einige schöne Sätze dazu entwickeln können, wie z.B. meine „Dreierformel“: „Ein Buch steht drei Monate in der Buchhandlung, drei Jahre in der Bibliothek, dreißig Jahre im Gehirn der Leserinnen und Leser und dreihundert Jahre auf der Universitätsbibliothek.“ Mit dieser Dreierformel lässt sich schön zeigen, dass jeder Tiroler die Möglichkeit hat, für jede dieser Zeitschienen etwas zu bekommen. Ein anderer Satz wäre: „Für jeden Leser, den man sieht, gibt es zehn unsichtbare Leser“. Ich halte das für eine realistische Erfahrung, wenn z.B. an einem Autorenabend dreißig Leute teilnehmen, wird das Buch ca. von der zehnfachen Zahl zu Hause gelesen.

Lesen in Tirol: Wie haben sich die Bibliothekare und ihre Arbeit verändert?

Helmuth Schönauer: Es hat sich mit den Jahren natürlich einiges geändert. Durch die gute Ausbildung ist auch die Tätigkeit der ehrenamtlichen Bibliothekarinnen und Bibliothekare professionell geworden. Mittlerweile gibt es in der wissenschaftlichen Ausbildung einen Kurs zum öffentlichen Bibliothekar und auch in der neuen Lehrerausbildung an der Pädagogischen Hochschule gibt es einen eigenen Schwerpunkt für Bibliotheksarbeit. Im Idealfall ist heute jemand Lehrer am Dorf und führt dort sowohl die Schulbibliothek als auch die Öffentliche Bibliothek, was in einigen Fällen bereits Realität ist. Das ist eine ganz tolle Entwicklung, wo ich mir um die Öffentlichen Bibliotheken keine Sorgen zu machen brauche.

Foto: Helmuth Schönauer
„Ein Buch steht drei Monate in der Buchhandlung, drei Jahre in der Bibliothek,
dreißig Jahre im Gehirn der Leserinnen und Leser und dreihundert Jahre auf
der Universitätsbibliothek.“
Foto: Markt-Huter

 

Nach wie vor ist der Anteil der Frauen in den Büchereien immer noch sehr hoch, wobei die ehrenamtliche Tätigkeit nur mehr funktioniert, wenn die Mitarbeiterinnen auch eine Art Vergütung erhalten und professionell versichert sind. Dass jemand dreißig Jahre lang eine Bibliothek führt, um am Schluss eine Mindestrente zu erhalten, kann es einfach nicht geben. Die Frauen in den Bibliotheken sind heute alle auch berufstätig, was zwar ihre Zeit in den öffentlichen Bibliotheken reduziert, dafür ihre Altersversorgung stabilisiert, was ich für eine sehr gute Veränderung halte.

Lesen in Tirol: Hat sich der Bibliotheksbesucher von früher und heute verändert?

Helmuth Schönauer: Nein, nicht wirklich. Höchstens die Zählweise der Besucher. Früher hat jeder Besucher einer Bibliothek vielleicht noch aus Gründen der Höflichkeit ein Buch ausgeliehen, was heute keine Rolle mehr spielt. Jeder der einmal im Jahr mit der Bücherei zu tun hat, gilt statistisch als Leser. Man muss aber dazu sagen, dass sich alle in ihrem Leseverhalten verändert haben. Rechnet man alles zusammen, also auch das Lesen von Nachrichten u.a., kommt man insgesamt auf Lesezeiten, die sich mit früher sicher vergleichen lassen. Auch sind die Leserinnen und Leser durchaus selbstbewusster geworden. Sie lesen heute mehr anlassbezogen und laden sich für den Urlaub vielleicht ein paar Krimis aufs Tablet, während früher noch ein Robert Musil ins Gepäck kam, um bestimmten Bildungserwartungen zu entsprechen.

Die Kernzonen im pädagogischen Bereich der Leseförderung an den Bibliotheken liegen weiterhin im Kindergarten, in der Vorschule und der Schule, während für den Bereich der Arbeitswelt die Zahl der Bibliotheksbesucher immer schon eher dünn waren.

Lesen in Tirol: Hat sich das Leserverhalten der Leser selbst inhaltlich verändert?

Helmuth Schönauer: Die Lyrik gilt, je nach Betrachtungsweise, bei den ausgesprochenen Fans als Spitzenreiter, während sie beim Rest der Leser das Schlusslicht des Interesses bilden. Krimis decken alles ab, was Krawall macht und als Taschenbuch auch Menge bringt. Der Rest geht immer mehr in Richtung Top-Ten-Bestseller hin.

Dem Buchhandel gelingt es im Grunde nur zu überleben, indem er Tag und Nacht Marketing betreibt. Jeden Tag können in verschiedenen Fernsehsendern mindestens drei Büchersendungen geschaut werden, was im Grunde aber wenig Auswirkung auf die realen Verkaufszahlen des vorgestellten Buches hat. Ein nicht leicht analysierbares Phänomen, das vielleicht mit der heutigen Übersättigung im Unterhaltungsbereich und mangelnder Zielgenauigkeit im Publikum zu tun haben könnte.

Foto: Helmuth Schönauer
"Früher hat jeder Besucher einer Bibliothek vielleicht noch aus Gründen der
Höflichkeit ein Buch ausgeliehen, was heute keine Rolle mehr spielt."

Foto: Markt-Huter

 

Manche Dinge, wie z.B. der Poetry Slam, lassen sich nicht wirklich festmachen. Dabei handelt es sich um eine schöne Geschichte mit vollen Häusern und großem Spektakel, was ich gerne mit dem Jodeln vergleiche, das auch keinen Inhalt hat. Mit einer solchen Veranstaltung lässt sich bestimmen, wer an diesem Tag am besten gejodelt hat. Diese Kulturform, die zwar sehr viel Trara macht, hat in der Dokumentation hingegen nichts zu bieten. Niemand kauft die gedruckten Ergüsse eines Poetry Slams.

Lesen in Tirol: Häufig findet sich von Seiten der Bibliotheken die Forderung, dem Bibliothekswesen eine gesetzliche Grundlage zu verschaffen. Wäre ein solches Gesetz hilfreich?

Helmuth Schönauer: In Bezug auf ein Bibliotheksgesetz, das immer wieder zur politischen Diskussion steht, sage ich immer: Nein, weil ich bei keinem Amt lesen möchte. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass die Gemeinden, welche die Bibliotheken und das Lesen tragen, derzeit mit Aufgaben vollkommen eingedeckt sind und sie nicht mit weiteren Richtlinien für Bibliotheken unter Druck gesetzt werden sollten.

Was auch dagegen spricht, sind die Erfahrungen in Südtirol über die letzten dreißig Jahre hinweg. Hier haben die Bibliotheken durch das Gesetz zwar ein Budget erhalten, doch hat sich die Zahl der Leser nicht wesentlich verändert und ist weiterhin mit unseren vergleichbar. Geändert hat sich, dass die Bibliothekare in Südtirol in der dritten Generation nun Beamte sind und sich nun Leute melden, die sowohl mit dem Schaufelbagger fahren als auch Lesen können und das machen, was gerade frei ist.

Bei uns ist derzeit vor allem das skandinavische Modell stark in Diskussion, wo alle „frei“ Lesen können. Dem halte ich entgegen, dass die Finnen wiederum von uns schwärmen, weil wir so eine Art „Widerstandsbibliotheken“ haben, wo alle Bücher im Notfall in einem Koffer Platz haben. Die Bibliotheken in Finnland hingegen erscheinen wie eine Eishockeyhalle, weil sich im Winter in Finnland alles in einer Halle abspielt, weil es sonst in dieser Jahreszeit nichts gibt. Bei allen, die von Finnland schwärmen, stellt sich heraus, dass sie die Bibliotheken nur im Sommer gesehen haben. Da unterstütze ich immer meine Tiroler Bibliotheken.

Dann gibt es noch einen wichtigen Zusammenhang, den ich augenzwinkernd immer das „Palfrader-Modell“ nenne, wo sie für die Öffentlichen Bibliotheken einmal im Jahr Ehrungen im Tiroler Landhaus eingeführt hat. Dabei handelt es sich um einen für diesen Bereich ungemein wichtigen, sympathischen und herzergreifenden Gestus, der sich mit Geld gar nicht aufwiegen lässt und um den uns alle beneiden.

Foto: Markt-Huter

Foto: Helmuth Schönauer

Ein zweiter Punkt, der zurzeit sehr gut funktioniert, sind die Schulbibliotheken, wobei mir bei einem Schulausbau immer der Satz einfällt. „Vorne bauen wir die Küche, damit die Kinder etwas zu Essen haben und hinten die Bibliothek, damit sie am Nachmittag in der Schule lesen können. Wenn man am Abend dann hinten die Tür öffnet, wartet schon die Öffentliche Bibliothek.“ Das wäre in kurzen Worten die sogenannte „Palfrader-Bibliothek“, worüber sie selbst immer lacht, was ich aber durchaus als Kompliment einer Politikerin gegenüber verstanden wissen möchte.

Abschließend lässt sich sagen, dass über die Geschichte einer Bibliothek, wie wir sie in den letzten vierzig Jahre betrieben haben, entweder als Desaster erzählt werden kann, das wäre dann berichten, was alles nicht passiert ist. Das interessiert aber niemanden. Man kann die Geschichte auch als durchgehende Utopie erzählen und von den „Erfolgen“ der Finnen und Schweden schwärmen. Das bringt auch nicht viel, weil der Himmel über Tirol ein anderer ist. Man kann aber auch, versuchen sie realistisch zu erzählen, wobei sich stets die Frage stellt, ob man zu viel oder zu wenig macht. Die richtige Antwort müsste dann auf gut tirolerisch immer lauten: „Ach, es ist gerade richtig!“

Lesen in Tirol: Vielen Dank für das Interview.

 

 

Weiterführende Links:
Schönauer Literatur
Lesen in Tirol: Helmuth Schönauer
Wikipedia: Helmuht Schönauer
BVÖ: Birgitta Aurén, Öffentliche Bibliotheken in Finnland

 

Andreas Markt-Huter, 01-10-2018

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