Ada Zapperi Zucker / Lorella Rotondi, Von Sizilien in die Toskana

Für einen in einer anderen Sprache und in einem anderen Land sitzenden Menschen sind Sizilien und die Toskana etwa gleich weit entfernte Sehnsuchtslandschaften, für die Autorinnen sind diese Gefilde Heimaten, die einen jeweils unverwechselbaren Lebenslauf ermöglichen.

Ada Zapperi Zucker und Lorella Rotondi verschränken in diesem Erzählband jeweils drei Erzählungen zu einem plastischen Erinnerungsland, aus dem zwischendurch wie die Füße einer Kommode Sizilien und die Toskana herausragen. Dabei entsteht durch den Erzählfaden, welcher über die Generationen hinausführt, eine heftige Glaubwürdigkeit, weil sich die erzählte Welt der Heldinnen mit der erfahrenen Welt der Autorinnen überlagert.

In den ersten drei Erzählungen lässt Ada Zapperi Zucker die Kindheit in Sizilien aufblitzen, indem beispielsweise von einem seltsamen Maurer die Rede ist, der auf fremdem Grund eine Mauer setzen soll, damit daraus ein Kinderzimmer für die Erzählerin entsteht. Dieser Maurer hat so ziemlich alle Gebrechen, er schielt, stottert, klappert vor Dürre und singt, wenn er Hunger hat. Ein zugelaufener Kater frisst ihm das Fleisch vom Teller, so dass er nur mit Mühe die Mauer fertig kriegt. Und dann ist es schon zu spät, denn die Erzählerin zieht letztlich aus.

In der zweiten Geschichte wird der Erzählerin vor Augen geführt, wie eine Erziehung hätte auch schiefgehen können. Am Nachbartisch will ein patziges Mädchen unbedingt Muffins, und als man ihm sagt, dass ihm davon schlecht wird, schreit es: Ich will erbrechen!

Lange später kommt die erinnernde Autorin durch das Land und merkt, dass auch andere Geschichten aufsteigen, wenn man sich an die Kindheit erinnert, das Massaker von Marzabotto beispielsweise.

Diesen Faden der Erinnerung greift in ihren drei Erzählungen Lorella Rotondi auf, indem sie von einer Mutter erzählt, die sich mit Spucke die Wangen rot reibt, um mit den Deutschen zu kollaborieren. Diese Schandtaten sind notwendig, um den Kindern das Essen zu ermöglichen. Für diese freilich bekommt der Ausdruck „schön machen“ eine gefährliche Bedeutung.

In einer Elegie über die Vergangenheit springen Szenen auf wie Klappmesser, ehe sie wieder in der Vitrine des Erinnerns weiterdösen. Hochzeit, rote Alfetta, Teufelin von einer Tochter zeigen einen Lebensentwurf, der erst abgerundet ist, als bei Regenwetter plötzlich die Keramikhunde der Kindheit zu Bruch gehen. Jetzt ist Gegenwart!

Diese beiden Zauberlandschaften Sizilien und Toskana entstehen aus den Geschichten der Menschen, die sich darin durch den Alltag gerieben haben. Alles Schöne, das wir bewundern, hat schon schlechte Tage gesehen und wir tun gut daran, auch die zerbrochenen Erinnerungsträger in uns zu hüten.

Ada Zapperi Zucker / Lorella Rotondi, Von Sizilien in die Toskana. Erzählungen, Racconti, a. d. Ital. von Domenikus Andergassen, Zweisprachig
München: VoG Verlag ohne Geld 2017, 164 Seiten, 11,80 €, ISBN 978-3-943810-16-5

Weiterführende Links:
Verlag ohne Geld: Ada Zapperi Zucker / Lorella Rotondi, Von Sizilien in die Toskana
Wikipedia: Ada Zapperi Zucker
Homepage: Lorella Rotondi (ital.)

Helmuth Schönauer, 04-06-2017