Josef Wallinger, Kindheit in Pradl

josef wallinger, kindheit in pradlDie affirmative Geschichtsschreibung versammelt die Menschen in ihrem biographischen Herbst und lässt sie schöne Geschichten aus der Kindheit erzählen. Dadurch wird die Vergangenheit erst einmal in eigene Worte gefasst und später zu einem Narrativ, das dem gesamten Leben einen Sinn gibt.

Josef Wallinger starte die Serie der Erinnerungen an Innsbruck mit seiner „Kindheit in Pradl“. Pradl ist dabei der Stadtteil östlich der Sill, der beinahe überall noch von Feldern umgeben ist. Der Autor empfindet seine Kindheits-Wohnung als Mittelpunkt der damaligen Welt, darum herum ist der Stadtteil Pradl aufgebaut. Das Volksschulkind schwebt ein paar hundert Meter die Hauptstraße der Pradler Straße entlang zur Volksschule, später erkundet das Kind die Umgebung, ehe es als Jugendlicher den Stadtteil auswendig gelernt und erobert hat.

In den 1960er und 1970er Jahren ist der Stadtteil quasi autark, es gibt jede Menge Lebensmittelläden, Bastelgeschäfte, Handwerker-Stuben, Gasthäuser und Post und Polizei als Amtsstellen. Für das Wohlbefinden sind zwei Friseure zuständig, der Fasson-Schneider und der Haarschnitt-Meister. Hier entwickelt sich am ehesten so etwas wie ein Klassenbewusstsein, indem eine gute Frisur ein gutes Lebensgefühl vermitteln soll.

Zum spiel-grünen Zentrum entwickelt sich der Rapoldipark, zwei scharfe Kurven der Straßenbahnlinie drei decken den Nahverkehr ab.

Später in der Hauptschule verbringt der Erzähler die Freizeit als Fußballer und Wiltener Sängerknabe, der Wacker wird ein international aufregender Fußballclub, die Kindheit geht zu Ende und der Erzähler verlässt den Stadtteil.

Jetzt nach vierzig Jahren lässt der Autor den neuen Stadtteil Revue passieren. Der Stadtteil ist immer noch lebenswert, die Häuser sind hauptsächlich vier Stockwerke hoch, die Bevölkerung besteht immer noch aus vielen Bugglern und Arbeitern und hat einen leicht sozialistischen Drall. Die Geschäfte sind weg, der Handel spielt sich in den Einkaufszentren vor der Stadt ab, bald wird die Regionalbahn auf der alten Trasse des Scharfen Eckes fahren und endgültig die Zukunft einleiten.

Josef Wallinger erzählt mit Wertschätzung, wie sich alle durch das Leben geschlagen haben, manche über den Durst getrunken haben und tapfer mit Beginn der Pension gestorben sind. Das bisschen Geld, das in Pradl zur Verfügung gestanden ist, ist in Lebensmittel draufgegangen. Schon damals hat die Währung „Fleischkas-Semmel“ das Leben geadelt. Bescheidenheit hat man sich nicht aussuchen können, aber wer einmal bescheiden zu leben gelernt hat, kommt mit dieser Tugend dem Glück sehr nahe.

Josef Wallinger erzählt glaubwürdig, wie eine ganze Generation das Glücklich-Werden in Pradl gelernt hat. Obwohl sich selten was ereignet hat, ist immer etwas losgewesen. Wahrscheinlich ist die Kindheit überall schön, aber in Pradl ist sie besonders schön, wie alle behaupten, noch ehe sie dieses Buch als Beweis gelesen haben.

Josef Wallinger, Kindheit in Pradl. Fotos
Innsbruck: Wagner'sche Verlag 2017 [Erinnerungen an Innsbruck], 136 Seiten, 9,60 €, ISBN 201-7-1010-0000-1

 

Weiterführender Link:
Wagner‘sche Verlag: Josef Wallinger, Kindheit in Pradl

 

Helmuth Schönauer, 27-06-2017

Bibliographie

AutorIn

Josef Wallinger

Buchtitel

Kindheit in Pradl

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2017

Verlag

Wagner'sche Verlag

Reihe

Erinnerungen an Innsbruck

Seitenzahl

136

Preis in EUR

9,60

ISBN

201-7-1010-0000-1

Kurzbiographie AutorIn

Josef Wallinger (geb. Dampf), geb.1957 in Innsbruck, unterrichtet in Hall in Tirol.