Roman Israel, Flugobst

roamn israel, flugobstDas Gegenteil von Fallobst ist Flugobst. Während das eine satt und bodenständig auf der Erde aufschlägt und zu Schnaps verarbeitet wird, kommt das andere edel und exquisit mit dem Flugzeug von den Enden der Erde angeflogen.

Roman Israels Flugobst ist ein sogenannte Klusen- oder Übergangsroman. An der Grenze der ehemaligen Brüderländer DDR und Tschechoslowakei rückt der Westen unbarmherzig in die kapitalistisch brachliegenden Ländereien ein und überhäuft alles mit dem goldenen Glanz des frischen Geldes.

In der Grenzstadt Klarabach ist zwischen 1990 und 1994 kein Stein mehr auf dem anderen geblieben. Die bisherigen Jobmotoren sind stillgelegt, Spekulanten überfluten das Land, und wer noch nicht abgehauen ist, probiert es mit seltsamen Ideen. So gründet einer eine Paradiesfrucht-AG, weil die Ossis vielleicht immer noch unter Bananen-Stau leiden und außerdem: „Im Süden geht die Sonne auf!“

In knapp zwanzig Episoden wird der Umbruch der Zeit wie ein historisch unverrückbares Drama erzählt. Vor allem die Fügung „das war der So-und-so-Vielte“ soll von vorneherein das Unverrückbare der Aktionen ausdrücken. Wenn schon alles eine marginale Erscheinung ist, so soll wenigstens das Datum etwas Fixes sein, das man erzählen kann und an das man sich später vielleicht noch erinnern wird.

Die Schicksale gleichen dann oft Schaustellern auf einer Jahrmarktszenerie, jemand handelt mit alten Trabis, ein anderer stellt seltsame Devotionalien der Gegend aus, die Produkte der ehemaligen Textilfabrik hängen als Fetzen von den Stangen.

Kollektiven Tumult gibt es, als eine Vogelspinne ausbricht, jetzt scheint die Stadt Anschluss an die Globalisierung gefunden zu haben, wenn exotische Tiere schon in Klarabach herumlaufen. Da wird auch ein Schild aufgestellt, um vielleicht den Tourismus anzukurbeln, „schönste Stadt der Welt“.

Oft ist der Humor grenzwertig und geht stracks in Depression über. Der Frust wird unter Familienangehörigen gnadenlos abgeladen. Die neue Welt scheint überhaupt gefährlich und unmenschlich geworden zu sein. Als der Laser am Dach spinnt, stiegen zwei beherzte Einwohner aufs Dach um ihn zu reparieren. Aber ein formidabler Stromschlag fetzt den einen zu Boden, das ist die neue Zeit.

Roman Israel erzählt von den kleinen Brüchen und Rissen, die die sogenannte Wende bei den Hinterbliebenen ausgelöst hat. Bis in die kleinsten Alltagsrituale hinein zeigt sich eine eigenständige Überlebenskultur, die vom West-Tsunami fortgespült wird und an manchen Tagen nicht einmal mehr durch Brachial-Humor eingedämmt werden kann. Alls ist im Flug, das Flugobst ist eine Paraphe, mit der die Konsumentenwünsche abgezeichnet werden.

Vielleicht trägt dieser Roman dazu bei, die „Seele des Ostens“ besser zu verstehen, die durch die Wende ganz schön gequält worden ist.

Roman Israel, Flugobst. Roman
Wien: Luftschacht Verlag 2017, 298 Seiten, 24,70 €, ISBN 978-3-903081-15-4

 

Weiterführende Links:
Luftschacht Verlag: Roman Israel, Flugobst
Homepage: Roman Israel

 

Helmuth Schönauer, 10-11-2017

Bibliographie

AutorIn

Roman Israel

Buchtitel

Flugobst

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2017

Verlag

Luftschacht Verlag

Seitenzahl

298

Preis in EUR

24,70

ISBN

978-3-903081-15-4

Kurzbiographie AutorIn

Roman Israel, geb. 1971 in Löbau, lebt in Berlin und Leipzig.