Bernard Mandeville, Eine bescheidene Streitschrift für öffentliche Freudenhäuser

bernard mandeville, streitschrift für öffentliche FreudenhäuserWer muss da nicht zugreifen: ein Buch mit Lesebändchen, saftig-erotischem Stich im Umschlaginneren und draußen am Pergament-goldenen Cover die herausquellenden Worte „Versuch über die Hurerei“!

Der Limbus-Verlag stellt immer wieder geheimnisvolle Aufklärungsbücher vor, sie sind meist dreihundert Jahre alt und werden der „klandestinen Literatur“ zugezählt. Damit sind Bücher gemeint, die man seit Jahrhunderten unter der Tuchent liest, und zu denen man fallweise wie bei der Hurerei befreiende Sex-Bewegungen macht.

In der Streitschrift des Arztes und Philosophen Bernard Mandeville geht es um Argumente, die die Errichtung von öffentlichen Bordellen unterstützen sollen. Dabei wird medizinisch-nüchtern das Wesen des Geschlechtsverkehrs beschrieben und gleichzeitig mit allem aufgeräumt, was als moralische Verkleidung darübergelegt ist.

Es mangelt auch nicht an philosophischer Welterfahrung, wenn etwa die Onanie als „kunstvolles Handwerk“ (66) bezeichnet wird, welche den gesellschaftlichen Frieden ebenso wenig stört wie die öffentlichen „Stews“, die wörtlich als Hitzebrei verstanden werden können, worin man nach Gebrauch die heißgelaufenen Organe abkühlen lässt.

Vorteile solcher Einrichtungen liegen im hygienischen Bereich, diverse Lustseuchen können in Kriegs- und Friedenszeiten eingedämmt werden, die entsprechenden Fachfrauen werden honoriert und gesellschaftlich geachtet, für die offiziellen Ehen besteht keine Gefahr, da bei einer guten Ehe ohnehin die tote Hose Stammgast ist.

Ursula Pia Jauch untersucht in ihrem Essay die Auswirkungen der Streitschrift auf die Argumentationsketten diverser Gesellschaften. Vor allem das Vokabular zeigt den jeweiligen Stand der Diskussion, denn nirgendwo ist die Sprache so üppig und ausufernd wie im Geheimen. Die Autorin ist Fachfrau für „geheime“ Literatur und erklärt, warum gerade das Bordellwesen in allen Gesellschaften auch zu einem seltsamen sprach-philosophischen Überbau führt.

Für die Gegenwart bedeutet dieses Buch, das erstmals ins Deutsche übersetzt worden ist, eine profunde Diskussionsbasis, gilt doch die Aufklärung als jene Epoche, in der die Grundbegriffe für unsere kontinentale EU-Denkweise entwickelt worden sind.

Aus Tiroler Sicht ist diese Versuchs-Bibel ein ideales Fundament, auf dem sich das unterschiedliche Bordellwesen in Nord- und Südtirol diskutieren lässt in der Hoffnung, dass das Land auch in diesem Punkt die Grenzen überwindet.

Und für öffentliche Bibliothekarinnen tut sich noch eine witzig-raffinierte Querverbindung auf: Sind nicht öffentliche Bordelle und Büchereien ähnlich strukturiert? Also wer in die öffentliche Bücherei geht, kann zu Hause durchaus auch ein glückliches Lese-Leben führen, und so fort.

Bernard Mandeville, Eine bescheidene Streitschrift für öffentliche Freudenhäuser oder ein Versuch über die Hurerei. Essay, aus dem Englischen übersetzt und mit einem Essay versehen von Ursula Pia Jauch. [Orig.: A Modest Defence of Publick Stews, London 1724]
Innsbruck: Limbus Verlag 2018, 219 Seiten, 18,00 €, ISBN 978-3-99039-126-6

 

Weiterführende Links:
Limbus Verlag: Bernard Mandeville, Eine bescheidene Streitschrift für öffentliche Freudenhäuser
Wikipedia: Bernard Mandeville

 

Helmuth Schönauer, 23-04-2018

Bibliographie

AutorIn

Bernard Mandeville

Buchtitel

Eine bescheidene Streitschrift für öffentliche Freudenhäuser oder ein Versuch über die Hurerei

Originaltitel

A Modest Defence of Publick Stews

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2018

Verlag

Limbus Verlag

Übersetzung

Ursula Pia Jauch

Seitenzahl

219

Preis in EUR

18,00

ISBN

978-3-99039-126-6

Kurzbiographie AutorIn

Bernard Mandeville, (1670-1733), niederländischer Arzt und Philosoph, lebte in London.

Ursula Pia Jauch, geb. 1959, ist Philosophie-Professorin an der Uni Zürich.