Gerhard Jaschke, Gemischte Freuden

gerhard jaschke, gemischte freudenAb wann wird der Nagel, an dem das Bild hängt, selbst zum Bild? Wie stark muss ein Satz sein, dass er einen Absatz tragen kann? Wie fett darf eine Headline ausfallen, dass sie den darunterliegenden Text gerade noch nicht erschlägt?

Gerhard Jaschkes Sprachradar hat die Fähigkeit zur Rundumsicht und zum Rundumschlag. Seine 360-Grad-Version von der Welt zeigt immer das Allgemeine in einem Mikrokosmos. Umgekehrt kann sich in der Mickrigkeit eines Satzes ein ganzes Sozio-Universum auftun.

Das Schreibprojekt der „gemischten Freuden“ besteht aus einem endlosen Wahrnehmungsfaden, der keinen Anfang und kein Ende hat, wiewohl das konkrete Kleinstprosa-Kompendium mit einem Witz über das Postfaktische beginnt und mit dem Klassiker zum Abschied endet:

Ehrlich gesagt / ist es mir / schon ziemlich. (261)

Das Leitsystem dieser permanenten Vermessungen ist das Alphabet, zumindest die Überschriften gehen „ab einem bestimmten Alter“ bis „zum Abschied“. Damit ist auch schon das Hauptthema eröffnet, alles dreht sich letztlich um jene Vergänglichkeit, mit der große Lebensentwürfe mit ebenso großen Sprüchen unterwegs sind.

Unerwartete Altersangaben und Querbeziehungen von Protagonisten lassen das Dahinrauschen der Zeit geradezu lächerlich erscheinen. Ein Ereignis wird mit dem Alter einer Person in Verbindung gebracht, eine Statistik teilt eine Krankheit diversen Altersgruppen zu, jemand ist noch ein paar Jahre von der magischen Alterszahl fünfundsechzig entfernt, ein anderer ist jetzt vier Jahre älter als es sein Vater bei seinem Tod gewesen ist.

Vorangetrieben werden die Sätze von einem Chronisten, der mit der einen Hand in seinen eigenen Materialien wühlt auf der Suche nach verwertbarem Material, mit der anderen Hand aber die Weltlage voranschreibt mit neuen Sätzen und Zitaten. So ist ein gefundener Satz gleich aktuell wie ein frisch geschriebener, die Gegenwart macht da keinen Unterschied.

Ein Azubi ist ein Außerirdischer, das mag eine Erinnerung an den eigenen Spracherwerb sein, kann aber auch einem Ausriss zur aktuellen Wirtschaftslage entstammen. „Bio-Dutteln“ sind zwar ein zeitloses sexuelles Accessoire, stellen sich aber meist als Schreibfehler heraus, denn es sollte Bio-Datteln heißen.

Das Leben wird gewesen sein. (260)

Auch diese Fügung pirscht sich Erkenntnis-geschmeidig an die Gegenwart heran wie Sätze über das Lesen und Schreiben, wonach das ideale Lesen in Schreiben übergeht.

Unwichtig, was man liest, hingegen von Bedeutung, was das Gelesene mit einem anstellt, was einen bewegt von der Zeitungsnotiz bis Hölderlin, egal. (221)

Ein Buch ist nie fertig ausgeschrieben, ein Roman ohne Ende ist das Ziel. An solchen Parolen richten sich diese hinfälligen Helden auf, die ständig von einem Ablaufdatum begleitet werden, die einander Hochzeitsjubiläen zuflüstern in der Hoffnung, dass die Liebe ewig währt, weil man dann automatisch länger lebt mit so eine langen Liebe.

Spielerisch, analytisch, theoretisch und wahrhaftig, die Sätze von Gerhard Jaschke haben alles in einer Handbewegung verpackt, welche die gemischten Freuden dirigiert.

Gerhard Jaschke, Gemischte Freuden. Sätze
Klagenfurt: Ritter Verlag 2018, 261 Seiten, 18,90 €, ISBN 978-3-85415-573-7

 

Weiterführende Links:
Ritter Verlag: Gerhard Jaschke, Gemischte Freuden
Wikipedia: Gerhard Jaschke

 

Helmuth Schönauer, 15-05-2018

Bibliographie

AutorIn

Gerhard Jaschke

Buchtitel

Gemischte Freuden. Sätze

Erscheinungsort

Klagenfurt

Erscheinungsjahr

2018

Verlag

Ritter Verlag

Seitenzahl

261

Preis in EUR

18,90

ISBN

978-3-85415-573-7

Kurzbiographie AutorIn

Gerhard Jaschke, geb. 1949 in Wien, lebt in Wien und Unterretzbach.