Andreas von Westphalen, Die Wiederentdeckung des Menschen

andreas von westphalen, die wiederentdeckung des menschen„Was wäre, wenn der Mensch eine falsche Vorstellung von seiner eigenen Natur hat? Was wäre, wenn wir uns über so etwas Existenzielles täuschen wie unser eigenes Wesen? In diesem Buch werden wir uns gemeinsam auf die Reise zu einem weithin unbekannten Wesen aufmachen, einem ebenso faszinierenden wie beeindruckenden Geschöpf: dem Menschen.“ (S. 11)

Andreas von Westphalen kritisiert das Menschenbild, das den meisten gegenwärtigen Wirtschaftstheorien und dem neoliberalen Wirtschaftsdenken zugrunde liegt und den Menschen als faul und auf den eigenen Gewinn und Vorteil ausgerichtetes Wesen betrachtet, das unter Konkurrenzdruck seine besten Leistungen vollbringt. Ein Bild über die Natur des Menschen, das mittlerweile fatale Folgen zeitigt.

Ausgehend von der von Hurrikan Katrina ausgelösten Naturkatastrophe im Sommer 2005 wird die Diskrepanz zwischen dem öffentlich vermittelten Wesen des Menschen und einer nach eingehender Recherche sich zeigenden Realität aufgezeigt. Wurde in den Medien Nachrichten von mordenden und vergewaltigenden Horden im Superdome berichtet, in denen die Katastrophe die schlimmste Seite des Menschen zum Vorschein gebracht habe, zeigt der Abschlussbericht eines Untersuchungsausschusses im Jahr 2006 ein völlig verzerrtes Bild der Medienberichterstattung. Nicht Mord und Raserei, sondern Hilfsbereitschaft und Selbstaufopferung auf breiter Ebene waren Realität.

Im ersten Kapitel „Deformiertes Menschenbild“ werden die historischen Grundlagen eines negativen Menschenbildes bei verschiedenen Denkern wie Thomas Hobbes, Arthur Schopenhauer, Sigmund Freud, Carl Gustav Jung oder dem Amerikaner Ayn Rand vorgestellt, für den z.B. der Egoismus der wichtigste Teil der menschlichen Natur darstellte, ein Charakterzug, den er uneingeschränkt als positiv bewertete. Dieses egoistische Menschenbild erlangte vor allem in den Wirtschaftswissenschaften, die sich ein Bild vom Homo oeconomicus formen, maßgeblichen Einfluss. Verknüpft wird dieses Menschenbild mit einer speziellen Deutung der Evolutionstheorie, die in Richard Dawkins Werk „Das egoistische Gen“ seinen Höhepunkt findet. Jeffrey Skilling richtete z.B. den Enron Konzern strikt nach dem Prinzip der egoistischen menschlichen Natur aus und „führte einen gnadenlosen Wettbewerb zwischen den Mitarbeitern des Unternehmens ein.“ (S. 25)

Im Kapitel „Der Mensch als soziales Wesen“ versucht der wahren Natur des Menschen nachzugehen und gelangt anhand zahlreicher psychologischer und sozialer Untersuchungen zum Schluss, dass es sich beim Menschen um ein durch und durch soziales Wesen handelt, das die Gemeinschaft zum Überleben braucht. Das dritte Kapitel „Das menschliche Verhalten“ geht der Frage nach, ob Egoismus oder Altruismus vorrangig die Natur des Menschen bestimmen, wobei vor allem Untersuchungen zum natürlichen Verhalten von Kleinekindern herangezogen werden, welche die große Bedeutung von Empathie für das soziale Miteinander bestätigen.

Das Kapitel „Die kapitalistische Wirtschaft und ihre Nebenwirkungen“ zeigt auf, wie sich das von den Wirtschaftswissenschaften verbreitete Weltbild auf die Lebensrealität der Menschen auswirkt und welche gesellschaftlichen, sozialen und psychischen Nebenwirkungen sich daraus für das Zusammenleben der Menschen ergeben. Kapitel fünf „Konsequenzen“ zeigt die Verbreitung des kapitalistischen Menschenbildes in allen Bereichen unserer Gesellschaft auf und welche Konsequenzen sich daraus für den Gemeinsinn, soziale Sicherungssysteme, soziale Gerechtigkeit sowie Bildung und Erziehung ergeben. Im letzten Kapitel „Jeder für jeden oder Wir können auch anders!“ gibt einen hoffnungsvollen positiven Ausblick, wie gelebter und geförderter Altruismus die Menschen gesünder und glücklicher werden lässt.

„Die Wiederentdeckung des Menschen“ stellt dem neoliberalen Menschenbild gezielt ein Bild vom Menschen als sozialem und hilfsbereitem Wesen gegenüber, der sich durch einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit auszeichnet. Anhand zahlreicher Beispiele und Untersuchungen wird aufgezeigt, dass es sich beim kapitalistischen Menschenbild um ein verzerrtes, nicht dem sozialen Wesen des Menschen entsprechendes Menschenbild handelt, das es zu überwinden gilt.

Ein überaus empfehlenswertes und lesenswertes Sachbuch, das den gegenwärtigen gesellschaftlichen Konflikten auf den Grund zu gehen versucht und einen hoffnungsvollen Ausblick für realistische Veränderungen eröffnet.

Andreas von Westphalen, Die Wiederentdeckung des Menschen. Warum Egoismus, Gier und Konkurrenz nicht unserer Natur entsprechen
Frankfurt a. Main: Westend Verlag 2019, 240 Seiten, 22,70 €, ISBN 978-3-86489-213-4

 

Weiterführender Link:
Westend Verlag: Andreas von Westphalen, Die Wiederentdeckung des Menschen

 

Andreas Markt-Huter, 19-07-2021

Bibliographie

AutorIn

Andreas von Westphalen

Buchtitel

Die Wiederentdeckung des Menschen. Warum Egoismus, Gier und Konkurrenz nicht unserer Natur entsprechen

Erscheinungsort

Frankfurt a. Main

Erscheinungsjahr

2019

Verlag

Westend Verlag

Seitenzahl

240

Preis in EUR

22,70

ISBN

978-3-86489-213-4

Kurzbiographie AutorIn

Andreas von Westphalen studierte Vergleichende Literaturwissenschaft, Neuere Germanistik und Philosophie in Bonn, Oxford und Fribourg. Er ist als Theater- und Hörspielregisseur und Journalist tätig.