Maria E. Brunner, Berge Meere Menschen

Buch-Cover

Der Titel klingt wie ein verstümmelter Auszählreim und ist eine raffinierte Mischung aus Enge und Weite.

Berge, Meere und Menschen tauchen irgendwie zufällig auf, und wer sich zwischen diesen Begriffsmassen bewegen muss, tut sich auf jeden Fall schwer mit der Orientierung.

Im Mittelpunkt des Romans steht das so genannte Kostkind, es beobachtet sich selbst und was mit ihm geschieht in einer schneidend lapidaren Sprache. Allein schon der Ausdruck Kostkind ist doppeldeutig, dieses namenlose Kind wird zur Verköstigung auf einen Bergbauernhof geschickt und kostet nur Geld.

Die ersten Eindrücke, welche die Beobachterin aufsaugt, sind eng, enger am engsten. Gebirge macht schroff und wortlos, rund um den Hof fährt die Eisenbahn in einer Wendekehre bergauf ohne anzuhalten, und die paar Wortschimmer über die Außenwelt kommen von der Pfarrbücherei mit ihrem immens engen Horizont. Das Kind empfindet sich als diffuse Rache zwischen Vieh und Friedhof.

?Die Föhrenscheite zersplittern mit lautem Krachen im Ofen. Dann stellte sich das Kostkind die Pfarrbücherei unterm Strohsack auf. Baute Fluchtburgen.? (12)

Allmählich kommen die politischen Veränderungen bis in die letzten Sackgassen des Gebirges durch, aus den aufgeschnappten Kurzsätzen über Option, Italianisierung Südtirols, Sprachkampf und Heimatgetue ergibt sich ein grob geschnitztes Geschichtsbild, das gut für eine heldenhaft reduzierte Handlungsweise taugt.

Zwar gehen die Bewohner immer noch gebückt ihrem Überlebenskampf nach und befolgen archaische Gehorsamsregeln, aber die neue Zeit schickt Landmaschinen, für die man sich verschulden darf und in neue Abhängigkeiten gerät. Und schließlich schermmt sich der Fremdenverkehr ins Gelände an der Bruchstelle zwischen dem Alten und dem Neuen.

Die alte Welt der Bauern und die neue Welt der Stadtmenschen trifft in kurzen Saisonen knallhart aufeinander. Das Kostkind träumt davon, Lehrerin zu werden, und hat vor allem eines im Sinn: Hinaus!

Endlich gibt es die andere Welt, das Meer, neue Menschen. Auch die Literatur hellt sich auf, jemand hat das Passagenwerk von Benjamin in Arbeit genommen, ein Lichtblick zwischen den unverdauten Gedankenbrocken der Kindheit. Einmal entwickelt das Kostkind sogar so etwas wie Vertrauen und Zuneigung zu einem hageren Dichter, der seinerseits ziemlich orientierungslos in der Universitätsstadt herumirrt und ?in die abgeäste Landschaft hinein inskribiert?. (99)

Wie in einem unruhigen Rondo schließt sich der Erkenntnisbogen, als die Bäuerin elendiglich an ihrem Krebs stirbt. So entlegen kann sich niemand im Gebirge verkriechen, dass er nicht von seiner persönlichen Krankheit aufgesucht würde. Jetzt ist für das Kostkind die Kostkindheit abgeschlossen, alles ist gesagt.

Maria E. Brunners atemlos straffer Roman erzählt, als ob die Protagonistin an einer Herzlungenmaschine angeschlossen wäre, alles geschieht mit Druck und Gegendruck, die Sätze werden gepresst ausgestossen und sind doch immer zu kurz gegen den Blasebalg der Welt. Diese Figur des Kostkindes hat etwas von einer Pippi Bergstrumpf, sie ist eine sympathische Heldin, der man die Daumen hält bis zum Schluss, dass sie wegkommt von den Bergen und der Auszählreim gut endet.

Maria E. Brunner, Berge Meere Menschen. Roman.
Bozen, Wien: folio 2004. 168 Seiten, EUR 19,50. ISBN 3-85256-271-6.

 

Helmuth Schönauer, 25-10-2004

Bibliographie

AutorIn

Maria E. Brunner

Buchtitel

Berge Meere Menschen

Erscheinungsort

Bozen

Erscheinungsjahr

2004

Verlag

folio

Seitenzahl

168

Preis in EUR

EUR 19,50

ISBN

3-85256-271-6

Kurzbiographie AutorIn

Maria E. Brunner, geb. 1957 in Pflersch, ist Literaturprofessorin in Schwäbisch-Gmünd.