Ada Zapperi Zucker, In Südtirol und anderswo

ada zapperi zucker, in südtirol und anderswoWenn einmal das große Wirtschaften die Macht übernommen hat, wird davon auch die Literatur eines Landes berührt. Bei Büchern über Südtirol denkt man meist an Krimis, Hotelprospekte und Sommerfrische-Storys. Kaum jemand kommt auf Anhieb auf die Idee, dass sich unter dem Label Südtirol auch Schicksale, Erzählungen und Lebensgeschichten verbergen könnten.

Ada Zapperi Zucker überrascht Land und Leser mit einer alten Weisheit: Wenn du die Geschichte eines Landes verstehen willst, musst du dir von den Alten erzählen lassen, wie es aus ihrer Sicht gewesen ist. Aus den oft vertrockneten Mündern lassen sich manchmal alte Plots heraushören, sie sind aus klaren Farben wie eine Grundierung von Himmel, wenn die Wolken der Zeitgeschichte aufgerissen haben.

Die sieben Geschichten aus dem Erzählband „In Südtirol und anderswo“ erzählen aus einer abgeklärten Sicht heraus, wie sich das Leben während der Herrschaft der letzten drei Generationen verändert hat. Dabei erzählt die „vergangene“ Schicht über die Köpfe der Business-Truppe hinweg direkt ins Herz der Leser, die vielleicht der jüngsten Generation angehören.

So sind die Geschichten als didaktische Erlebnisse klassischer Art gedacht, einmal erzählen die Texte von dem, was man höchstens noch vom Hörensagen kennt, und andererseits bringen sie eine Sprache aufs Tapet, die sich dem Alltagsgetümmel entzieht und jeweils Fügungen verwendet, die für einen langen Erzähl-Atem gedacht sind. Dass die Texte in Italienisch und deutsch veröffentlicht sind, erhöht die Einladung, sich im Switch beider Sprachen selbstsicher umzusehen.

Am Beispiel der ersten Erzählung „Burgl“ lässt sich das Konzept „Staunen und Lernen“ aufzeigen. Eine „zugewanderte“ Erzählstimme geht schon seit Jahren an einem Grundstück vorbei, dessen Haus in die Tiefe gesunken ist, weil man davor ständig Wege aufgeschüttet hat. Darin wohnt Burgl, eine alte Frau, deren Namen man heutzutage in Notburga übersetzen muss, so entlegen klingt er schon. Die versunkene Wohnsituation zeigt, wie die Geschichten allmählich im Erdboden verschwinden, während man die Wege nach draußen immer höher aufschüttet, bis sie abgehoben von jeder Standfestigkeit verlässlich ins Leere führen.

Ein Gemisch aus Ich-Erzählerin, die beobachtet, Nachbarschafts-Ich, das die Vorgänge im losen Schwatz erzählt, und Ich-Zitaten besagter Burgl arbeitet ein Frauenschicksal heraus, das am Schluss als verhärmtes Wesen im Obstgarten auf und ab geht. Wie in einem Abzählreim kommt alles vor, was kein Glück bringt. Sohn, Haus, Hund, Obst, Option, Gewalt in der Ehe und im Garten. Mit einem bösen Scherz könnte man sagen, dass dieser Abzählreim die jüngere Geschichte Südtirols ausmacht. Der Pfarrer hat lange das Sagen, besucht frisch Vermählte so lange, bis endlich die Schwangerschaft kommt. Bei dieser Gelegenheit werden die Tugenden des Patriarchats ausgepackt und vollgestreckt.

Das alles prasselt auf Burgl ein, sodass sie stumm und stümmer wird. Zwischendurch verteilt sie Kirschen an Vorbeigehende, isst aber selber keine, seit sich ein Angehöriger in ihrem Baum erhängt hat. Und vor lauter Erzählen und Sinnieren merkt die Wortführerin durch den Text, dass Burgl schon lange nicht mehr gesehen worden ist. Jemand deutet an, es habe einen Schlaganfall gegeben.

Wie bei allen konzisen Erzählungen liegt die Botschaft im Erzählvorgang, was sie vom Durchblättern einer Chronik unterscheidet. Nicht nur die Ereignisse sollen recherchiert sein, auch die Sprache muss man als Erzählerin einladen, dass sie mitmacht, bei diesem Erinnerungsvorgang. Die Sprache, das wissen die wenigsten, besteht auf Einladung und Freiwilligkeit, sie lässt sich nicht zur Anwendung zwingen.

Dieses Motiv spielt auch im Schlussessay „Die Verführungen des Gesangs“ eine Rolle. In diesem Falle ist es die Musik, die sich nicht übers Knie brechen lässt. Zuerst wird auf den schönen Sachverhalt hingewiesen, dass es nichts nützt, den besten Musiklehrer zu engagieren, wenn der Kunde nicht singen kann. Das spricht die Musikpädagogen scheinbar frei. Im zweiten Abschnitt wird freilich erzählt, wie ein sizilianischer Obst-Adeliger nach und nach seine Güter verkauft, um sich Musiklehrer zu leisten, die ihm das Singen beibringen möchten. Aber niemand sagt die Wahrheit, dass es nämlich um sein Genie schlecht bestellt ist. Als eine Klavierlehrerin Klartext spricht, bleibt der Sänger verschwunden, er hat sich wohl was angetan. Seht, sagt die Geschichte, wenn wir die Wahrheit singen würden, wäre es um uns und die Musik geschehen.

Die „didaktischen“ Beispiele der Zeitgeschichte handeln vom Fuß fassen aus Sizilien emigrierter Künstler, vom Fuß fassen in der Liebe, vom Fremdsein in dieser Liebe und vom Fremdbleiben der Zugezogenen.

Ada Zapperi Zucker gelingt es, ein wärmendes Licht anzuzünden, wenn sie nach alter Methode des Kerzenscheins behutsam in die Vergangenheit blickt, standfest und auf Höhe der Gegenwart.

Ada Zapperi Zucker, In Südtirol und anderswo. Erzählungen, zweisprachig [In Sudtirolo e altroverse, Racconti.], a. d. Ital. von Domenikus Andergassen
München: VoG Verlag ohne Geld 2022, 320 Seiten, 14,80 €, ISBN 978-3-943810-33-2

 

Weiterführende Links:
VoG Verlag ohne Geld: Ada Zapperi Zucker, In Südtirol und anderswo
Wikipedia: Ada Zapperi Zucker

 

Helmuth Schönauer, 08-04-2022

Bibliographie

AutorIn

Ada Zapperi Zucker

Buchtitel

In Südtirol und anderswo / In Sudtirolo e altroverse

Originaltitel

In Sudtirolo e altroverse

Erscheinungsort

München

Erscheinungsjahr

2022

Verlag

VoG Verlag ohne Geld

Übersetzung

Domenikus Andergassen

Seitenzahl

320

Preis in EUR

14,80

ISBN

978-3-943810-33-2

Kurzbiographie AutorIn

Ada Zapperi Zucker, geb. 1937 in Catania, lebt in München.