Förderung der direkten Leseroute in der 1. Klasse

blitzlesenModellannahme zum Lesen und Rechtschreiben: Der Ausgangszustand beim Lesen ist die Schrift und der Endzustand im Generellen die richtige Wort- und Satzerkennung bzw. beim lauten Erlesen deren Aussprache. Beim Rechtschreiben kann die Ausgangssituation sehr vielfältig sein (z.B. Schreiben von Ansagen, Abschreiben, …) und der Endzustand ist die richtige Niederschrift von Wörtern und Sätzen.

Welche Vorgänge beim Lese- und Rechtschreibprozess zwischen der Ausgangs- und Endsituation bei Personen ohne Problemen im Lesen und Rechtschreiben ablaufen, wird nachfolgend beschrieben. Dazu liegen verschiedene Theorien zugrunde. Das Wissen um diese Vorgänge ist von großer Bedeutsamkeit, weil so spezielle Probleme von Personen mit einer Lese- Rechtschreibstörung verstanden werden können (Klicpera et al., 2013).

Zwei-Wege-Modell (Dual-Route Modell)

Das Zwei-Wege-Modell von Coltheart (1978) versucht zu erklären, welche Abläufe im Gehirn stattfinden, wenn visuelle Symbole in Sprache umgewandelt werden und welche Strategien verwendet werden (Mayer, 2016). Das Zwei-Wege-Modell unterscheidet zwischen einem direkten (top-down) und einem indirekten (bottom-up) Zugangsweg der Worterkennung.

Das bedeutet, dass es beim Lesen Wörter gibt, die aufgrund der Buchstabe-Laut-Beziehung (Graphem-Phonem-Korrespondenz) direkt erkannt, erlesen und verstanden werden. Hierbei wird ein Zusammenhang zum lexikalischen Eintrag hergestellt (Klicpera et al., 2013). Bei dieser direkten Worterkennung sind wenige Merkmale eines Wortes ausreichend, um es schnell zu erlesen und somit wird das Lesen schneller, flüssiger und einfacher, da das phonologische Arbeitsgedächtnis weniger beansprucht wird (Mayer, 2016).

Daneben gibt es Wörter, deren Graphem-Phonem-Korrespondenz unbekannt ist und kein lexikalischer Eintrag vorhanden ist. Diese Wörter müssen indirekt, also Buchstabe für Buchstabe oder Buchstabengruppe in Leserichtung erlesen werden, man spricht auch von einer phonologischen Rekodierung. Beide Wege der Verarbeitung stehen nicht unter allen Umständen zur Verfügung. Der lexikalische Zugriff ist nicht möglich, wenn es sich um Wörter handelt, die der Leserin bzw. dem Leser unbekannt sind (z.B. ein Pseudowort, unbekanntes Fremdwort). In solchen Situationen ist eine phonologische Rekodierung unumgänglich. Die deutsche Sprache gilt als regelmäßige Sprache und zeigt eine leicht-einsehbare Graphem-Phonem-Korrespondenz und macht die Verwendung der indirekten Leseroute vergleichsweise einfach (Klicpera et al., 2013).

Beim Rechtschreiben unterscheidet man auch zwischen einem direkten (lexikalischen) und einem indirekten (nichtlexikalischen) Zugang (Klicpera et al., 2013).

Praktische Umsetzung

Blitzlese-Karten

In der ersten Klasse übt man in ersten Linie das Erlesen der indirekten Leseroute – Buchstabe für Buchstabe soll erlesen werden. Da wir aufgrund des theoretischen Bezugs nun wissen, dass beide Leserouten für das Lesen wichtig sind, war es unsere Aufgaben, nicht nur das Erlesen mittels der indirekten Leseroute zu trainieren, sondern auch die direkte Worterkennung zu fördern.
Als Grundmaterial diente uns der Fernitzer Grundwortschatz.

grundwortschatzkarten
Abb. Fernitzer Grundwortschatz

blitzlesekarten

 

Abb. Blitzlesekarten

 

Diese Karten gibt es wahrscheinlich an jeder Schule. Für die erste Stufe sind diese Karten jedoch nicht ideal, weil pro Karte zu viele Wörter abgebildet werden. Ein weiterer Nachteil ist, dass die Wörter alphabetisch geordnet werden. Wir haben nun den Grundwortschatz verwendet und in kleinere Einheiten unterteilt. Für die Erstellung haben wir den Worksheet-Crafter verwendet. Dabei haben wir zu Beginn Wörter gewählt, die die Kinder schon können bzw. leicht zu merken sind (kurze Wörter). Um schnelle Erfolgserlebnisse zu schaffen, kommen Wörter auch öfter vor.

 

 

schüler übt mit blitzlesekarten
Schüler übt mit Blitzlesekarten. Foto: Nicole Aigner

Die SchülerInnen haben eine Karte bekommen, diese dann zuhause und in der Schule geübt. Sie sollten die Wörter von oben nach unten, von unten nach oben lesen bzw. erlesen, wenn eine andere Person auf ein betreffendes Wort zeigt. Konnte die geübte Karte schnell erlesen werden, wurde die nächste Karte ausgeteilt und wieder geübt. Die Karten wurden mit einem Schlüsselring gesammelt und immer wieder wurden auch „alte“ Karten abgefragt. Die Kinder wurden durch die fortlaufende Vorgehensweise motiviert und sie freuten sich immer, wenn sie eine neue Karte bekamen. Die schwächeren Leser waren durch die wenigen Wörter nicht überfordert und kamen so
auch gut mit.

Spreeder – Online-Tool

Spreeder ist ein kostenloses Programm, mit dem Ziel die Fähigkeit im Schnelllesen zu verbessern. In der App kann ein Text bzw. einzelne Wörter eingegeben werden und dieser Text wird dann Wort für Wort auf dem Bildschirm angezeigt. Man kann selber einstellen, wie viele Wörter pro Minute erlesen werden sollen. So ist eine Differenzierung sehr gut möglich. Wir haben die Wörter der Blitzlesekarten als Wortmaterial verwendet. Das Erlesen erfolgte dann in der Gruppe, da jeder über den großen Fernseher in der Klasse mitlesen konnte. Vereinzelt wollten Schülerinnen/Schüler allein lesen und selber beurteilen, ob sie schneller bzw. langsamer lesen wollen. Nachteil bei diesem Programm ist, dass man die Schriftart nicht ändern kann und es so nicht immer mit der Druckschrift übereinstimmt. Aber da es um die direkte Worterkennung geht, war das meistens nicht von Bedeutung – das große Ganze konnte erlesen werden (einzelne Buchstaben waren somit nicht so wichtig).

spreeder online tool
Screenshot: Spreeder Online Tool

Resümee

Wir finden die Blitzlesekarten als großartige Möglichkeit, die direkte Leseroute zu fördern. Man merkte auch schnell, dass die SchülerInnen in Büchern einige Wörter bereits direkt erlesen konnten und nicht auf das synthetische Lesen angewiesen waren. So konnte die Lesefertigkeit schnell gesteigert werden.

Die Kinder und Eltern fanden durch das fortlaufende Programm Sicherheit und sie wussten stets, wie sie vorgehen müssen. Wir bekamen durchwegs positives Feedback.

Auch den Spreeder finden wir als Auflockerung im Leseunterricht als sehr bereichernd. Vor allem waren die SchülerInnen mit voller Begeisterung und Freude beim Erlesen dabei.

Blitzlesekarten zum Grundwortschatz als pdf.

GWS 1 GWS 2 GWS 3 GWS 4 GWS 5 GWS 6
GWS 7 GWS 8 GWS 9 GWS 10 GWS 11 GWS 12
GWS 13 GWS 14 GWS 15 GWS 16 GWS 17 GWS 18

GWS 9-1

 

Literaturangaben:
Klicpera, Ch., Schabmann, A. & Gasteiger-Klicpera, B. (2013). Legasthenie – LRS (4. Auflage). München: Reinhardt Verlag.
Mayer, A. (2016). Lese-Rechtschreibstörungen (LRS). München: Ernst Reinhardt Verlag.

Weiterführende Links:
Spreeder - Online Tool

 

Nicole Aigner - VS Erpfendorf, 20-02-2023
bearbeitet: Andreas Markt-Huter, 22-02-2023

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