Heinrich Klier, Bergwind und Träume
Um einen Sonnenplatz in der Literaturgeschichte zu ergattern, müssen Novellen vor allem eines: Einen fulminanten Start hinlegen.
In Heinrich Kliers Sehnsuchtsnovelle gibt es eine dieser unvergesslichen Startszenen. Der Hotelier schaut in die Felswand, und um besser sehen zu können, nimmt er dem Kellner das Fernglas aus der Hand.
Kellner, muss man wissen, haben in Tirol immer ein Fernglas umgehängt und sind so jederzeit fähig, eine literarische Begebenheit auszulösen und zu sichten. Was ist nun der Falke, also die unerhörte Begebenheit, dieser Novelle? Es ist nichts Geringeres als die Erotik der Berge, Berge sind geil und machen geil, würde man heutzutage sagen. 1955 freilich formulierte man es vorsichtiger, etwa so: ?Seit fünf Jahren hatte er keine Frau mehr am Seil gehabt, seit Christinens Tod.? (66)
Einsame Männer suchen ihr Glück in den Bergen, verlieren dabei ihre Frauen oder Gliedmaßen, klettern ihrer eigenen Sehnsucht nach, um sie dann dramatisch entschwinden zu sehen. "Lautlos sanken die Berge in der Nacht unter. Und wie auf einem Stern saß ein Einsamer und sann traumverloren in das Dunkel", heißt es am Schluss. (132)
Im Bergsteiger-Kurort Ladaun trifft eine berühmte Filmtänzerin ein, sie möchte vor ihrer nächsten Rolle noch etwas Auszeit nehmen. Als sie die zwei einheimischen Extrembergsteiger Alexander und Ambros in der Wand sieht, ist von deren Klettererotik sofort angetan. Ambros friert sich bei diesem Kletteraufriss die Finger ab, ein paar davon müssen amputiert werden, aber der Ruhm einer Erstbesteigung ist allen Überlebenden gewiss. Während der Amputation kommt ihm das ?zweite Gesicht? hoch, er vermag Katastrophen zu sehen und hat schon einmal vorausgesehen, dass Christine sterben wird.
Christine war die Geliebte von Alexander, dieser ist seit Jahren ziemlich verstört aber extrem bergtauglich. Die Tänzerin verbringt mit ihm spontan den schönsten Sommer des jeweiligen Lebens und selbstverständlich greift der Berg zwischendurch lebensbedrohend dazwischen. Bei einem Absturz verknöchelt sich die Tänzerin und die Karriere wäre fast vorbei.
Aber heftige Sommer sind immer kurz und gehen in einen alltäglichen Winter über, der fast ein Leben lang dauern kann. Nach den Dreharbeiten kehrt die Tänzerin zurück, um es in einem felsigen Showdown dem Geliebten zu zeigen. Dieser hat nämlich nur die Berge im Kopf und kann also nur über das Gebirge erobert werden. In einem Riesenszenario der Gefühle geht die Sehnsucht unfassbar ihren Weg.
Heinrich Klier hat mit dieser Nachkriegsnovelle eine unpolitische Schicksalsstory geschrieben, in welcher die beiden Hormonträger Gebirge und Liebe heftig aufeinander treffen. Heute würde man von einem sympathischen Entwurf für eine Herzensserie sprechen und den Stoff unter dem Titel ?Da-wo-die? Hansi Hinterseer anbieten.
Heinrich Klier, Bergwind und Träume. Novelle der Sehnsucht.
München: Bergverlag Rother 1955. 132 Seiten.
Helmuth Schönauer, 16-01-2005