Ana Marwan, Verpuppt

an marwan, verpuppt„Und woran denkst du?“ – Das Mädchen wurde steif. „An welchen Beruf?“ erklärte er rasch. (20) Sobald Sätze fallen, tun sich Missverständnisse auf. Während sie gesprochen werden, heißt es schon zu erschrecken und sie zurücknehmen. Oder zumindest sie abzufedern, oder nachzufragen, oder abzuwiegeln.
Letztlich entsteht ein Satzbrei vor dem Mund und erstarrt. Dahinter hat sich ein Gedanke verbarrikadiert und verpuppt.

Ana Marwan erzählt rätselhaft klar und verwoben. Am Cover steht Verpuppung. Roman. Als Leser merkt man gleich, dass es sich um etwas handelt, was man nicht nacherzählen kann, und was folglich keinen scharfen Plot hat. Die vorgeschobene Erzählerin weiß, dass der Leser ab und zu einen Suspense braucht.

(Also: ) Plötzlich (wie jeder Leser möchte, dass etwas passiert) klingelte es an der Tür. (109)

Da sind wir schon mitten im Roman, und was ist passiert?
Vielleicht sollte man das Thema wörtlich nehmen, es geht um eine totale Verpuppung.

  • Das Mädchen Rita wird erwachsen und übt sich in in die Welt der Erwachsenen ein. Aus diesem Grund verpuppt es sich in der Hoffnung, nach einer gewissen Zeit als vollkommen verwandelter und angepasster Mensch auf der anderen Seite der Puppe herauszukommen.
     
  • Die Erzählerin ist ein schwieriger Erziehungsfall, deshalb wird sie in eine Anstalt gesteckt. Dabei verpuppt sie sich aber und macht aus der Anstalt ein Ministerium, worin es gleich zur Arbeit schreitet.
     
  • Die Heldin weiß, dass es für ein vollkommenes Leben eine pragmatische Liebschaft braucht, der Originaltitel „Zabubljena“ soll im Slowenischen diese Bedeutung haben. Der angepeilte Mann wird Jez genannt, er ist reif und ausreichend alt für eine Lebensbeziehung. Die Erzählerin misst sogar schon die Temperatur, um ihn in ihr Loch zu locken, damit sie beide für Vermehrung sorgen könnten. Aber etwas an der Verpuppung spinnt, der Mann ist vielleicht eine Erfindung wie das Ministerium, in welchem er arbeitet.
     
  • Die Erzählerin unterbricht ständig die Befundung ihrer Welt, um sich literarisch zu verpuppen. Wahrscheinlich kommt sie am Hinterausgang des Textes als geschätzte Autorin heraus. Die Gebrauchstexte für den Meta-Betrieb sind kursiv gesetzt.
     
  • Der Schreibvorgang selbst verpuppt sich. Das Schreibprogramm hat sich selbständig gemacht und tippt gegen Ende des Romans zehn Seiten lang Buchstabenfolgen, wie wir sie aus Übungen für das Zehnfingersystem kennen.
     
  • Der Text macht sich über den Leser her und verpuppt ihn samt seinen Lektüreerfahrungen. Was könnte da gemeint sein als Roman, der rund um den Leser aufgebaut und verkleistert wird?

Allmählich getraut man sich als Leser das zu empfinden, was so nebenher zitiert worden ist. Aber Achtung:

Es würde klug klingen. Aber ihre Zitate waren leer. (16)

Andererseits wird auch das ideale Leseprogramm angesprochen:

Der Mensch hält immer bis zum Ende aus. (23)

In einem kühnen Vergleich lässt man sich zwischendurch an „Malina“ von Ingeborg Bachmann erinnern. Auch dort ist nicht klar, wie das Beziehungsgeflecht zwischen Mann, Frau und Erfindung aufgebaut ist.

Der Verpuppungsroman spielt sich aus diesem finsteren Beziehungsgeflecht frei, indem er von vornherein das Leicht-Flüchtige von Beziehungssätzen ansteuert. Während der einzelnen Episoden entsteht mehrfach der Eindruck, nicht die Sätze machen den Sinn, sondern die Wischbewegung, mit der die Sätze über den Sachverhalt gelegt werden.

Manchmal genügen zwei Wörter, um eine ganz neue Lebensform zu kreieren, so ist Beispielsweise von einer „unziemlichen Beziehung“ (87) die Rede, das könnte sich zum Trend auswachsen.

In den Nachdenkpausen sortiert die schreibende Person die Methoden, mit denen die Welt beobachtet werden muss, um sie in eine lüsterne Erwartung zu transformieren. „Ich vergleiche viel und suche nach Ähnlichkeiten.“ (80) Jeder Satz sitzt. Locker. Es kommt drauf an, wo man den Punkt setzt und ob man einen Nachfolgesatz in petto hat.

Woran denkst du? Vielleicht ist das Mädchen umsonst steif geworden, und der Fragende hätte sich nicht korrigieren müssen mit der Ausrede, dass ja nur der Beruf gemeint war.

„Verpuppt“ spielt in einer Anstalt, vielleicht in einem Ministerium. Oder gar in einer Schreibwerkstatt, in der Ingeborg Bachmann gelehrt wird. – Gut möglich, dass hinten aus der Puppe etwas herauskommt, was gefühlsmäßig an Ken und Barbie erinnert.

Ana Marwan, Verpuppt. Roman, a. d. Slowen. von Klaus Detlef Olof. [Orig.: Zabubljena, Ljubljana 2021]
Salzburg: Otto Müller Verlag 2023, 217 Seiten, 24,00 €, ISBN 978-3-7013-1302-0

 

Weiterführende Links:
Otto Müller Verlag: Ana Marwan, Verpuppt
Wikipedia: Ana Marwan

 

Helmuth Schönauer, 02-02-2023

Bibliographie

AutorIn

Ana Marwan

Buchtitel

Verpuppt

Originaltitel

Zabubljena

Erscheinungsort

Salzburg

Erscheinungsjahr

2023

Verlag

Otto Müller Verlag

Übersetzung

Klaus Detlef Olof

Seitenzahl

217

Preis in EUR

24,00

ISBN

978-3-7013-1302-0

Kurzbiographie AutorIn

Ana Marwan, geb. 1980 in Murska Sobota, lebt in Wien. Seit 2023 ist sie Herausgeberin der Zeitschrift „Literatur und Kritik“.