Dietmar Füssel, Der Verklärte

dietmar füssel, der verklärteIn Denksphären mit mannigfaltigen Spielregeln sind die verwendeten Begriffe oft labil wie Quanten, sie können zu Beginn eines Satzes etwas anderes bedeuten als an dessen Ende. Vor allem Theologie und Literatur werden diesem Metier zugerechnet, dessen Protagonisten oft als Schwurbler auftreten. Die Sprache hält für diese Geschichten exquisite Begriffe parat, die wie Leitpflöcke den Diskurs durch den Nebel führen. – „Der Verklärte“ ist so ein Begriff.

Dietmar Füssel, längst ein „Marken-Autor“ für groteske Geschichten, lässt den erfolglosen Schriftsteller Didi F. als Prototyp für eine Heilsgeschichte sterben. Er wird in provinzieller Manier von einem Lokalpolitiker überfahren, der Fahrerflucht begeht. Erbärmlicher kann man als Dichter wirklich nicht sterben.

Freilich gewinnt der Held dadurch einen neuen Status: er wird „Verklärter“. Scheinbar unversehrt und schmerzfrei schaut er von außen auf sich selbst, er ist unsichtbar und weist keine Materie mehr auf. Ein herbeigeeilter Schutzengel erklärt ihm, dass sein Zustand jetzt den Bildern eines Filmes gleiche, sie sind da, aber nicht greifbar. Zur Bestätigung dieses Zustands geht der Verklärte auf den Bahnübergang und durchschreitet den durchfahrenden Zug, der nichts von seiner Existenz mitkriegt.

Der Verklärte muss sich in der Folge auf einen Prozess vorbereiten, in dem seine bisherige Lebensleistung beurteilt wird. Vermutlich wird er in einer neuen Existenz als Maus oder Spinne sein nächstes Leben absitzen müssen, denn diesen beiden Lebewesen hat er wissentlich geschadet.

In der Wartezone sind quasi alle Lebewesen von der Steinzeit an versammelt. Ein ehemaliger Tundra-Jäger, der noch auf das Mammut losgegangen ist, wirkt besonders frustriert, dass dieser ewige Lebenszyklus kein Ende hat.

In diesem Vorraum zum Prozess gibt es keine Sprachbarrieren, jeder kann sich mit jedem verständigen, aber der Inhalt ist ziemlich sinnlos. Ein Cocktail wird herumgereicht, der die Erinnerung ankurbeln soll. Und dann kommen die zehn Paragraphen über den Sinn des Lebens zur Verteilung. Sie bilden das Fundament für den Prozess und nennen sich „Seelenordnung“, darin ist das Verhältnis der Lebewesen untereinander und ihr Abstand zum Sinn des Lebens geregelt.

Der Verklärte lässt die Seelenordnung auf sich einwirken und kommt als ehemaliger Schriftsteller zum Schluss: „Es gibt kein Ziel. Der Weg ist kein Ziel. Es gibt keinen Weg. Der Anfang ist kein Weg. Es gibt keinen Anfang. Das Ende ist kein Anfang.“ (36) „Im Grunde genommen bereute er sogar sein gesamtes Leben als Didi F., in dem keine einzige seiner hochgesteckten Erwartungen sich erfüllt hatte.“ (38)

Im Prozess werden ihm dann Dinge vorgeworfen, die er schon längst vergessen hat. Eine Maus soll gekränkt worden sein, indem sie unter falschem Vorwand getötet worden ist. Freilich trägt auch die Maus eine bestimmte Teilschuld für ihren Tod, weil sie sich am Speck des Schriftstellers direkt verbissen hat, statt zu warten, bis dieser in eine Mausefalle als Lockmittel ausgelegt wird.

Solche Spitzfindigkeiten begleiten wie jeden Prozess das Verfahren um den Verklärten. Diesem dämmert allmählich, dass der Aufenthalt in der Wartezone ewig dauern wird.

Auch bei diesem „jenseitigen“ Gerichtsurteil geht es im in die Berufung. Die Strafe fällt schließlich desaströs aus: Weitermachen als irgendein Lebewesen!

Der Verklärte hat allerhand Religionen studiert, unter anderem den Buddhismus, dessen existentielle Endlosschleife ihn schon öfters beunruhigt hat. Die Religionen scheinen alle ausweglos zu sein, wenn es um die letzten Dinge geht.

Da greift der Schriftsteller auf seine Erkenntnisse als bedeutungsloser Autor zurück. Immer wieder hat er die Literatur nämlich als sinnloses Unterfangen ausgemacht, aus dem es kein Entrinnen gibt. In einer Replik fasst er das Desaster zusammen:

„Weder gibt es das Paradies noch gibt es kein Paradies. / Weder gibt es ein Gesetz noch gibt es kein Gesetz. / Weder gibt es eine Gerechtigkeit noch gibt es Gerechtigkeit.“ (61)

Dietmar Füssel setzt mit seiner Groteske auf die Fabulierkunst von Erlösungsgeschichten auf. Sein Verklärter schafft es weder zu Lebzeiten noch nach dem Tod, zur Ruhe zu kommen. Er hat sich nämlich das falsche Metier ausgesucht – die Schriftstellerei.

Dabei ist der „echte Schriftsteller Dietmar F.“ gerade vom Glück gestreift worden: „Während meine Mony und ich gerade am Cover dieses neuen Buches arbeiteten, erlitt ich nämlich ohne jede Vorwarnung eine Gehirnblutung, die ich nur dank einer perfekt funktionierenden Rettungskette überlebte. Andernfalls wäre ich jetzt sogar selbst schon ein ‚Verklärter‘.“

Dietmar Füssel, Der Verklärte
Waging am See: Liliom Verlag 2023, 62 Seiten, 15,00 €, ISBN 978-3-96606-034-9

 

Weiteführende Links:
Liliom Verlag: Dietmar Füssel, Der Verklärte
Wikipedia: Dietmar Füssel

 

Helmuth Schönauer, 12-10-2023

Bibliographie

AutorIn

Dietmar Füssel

Buchtitel

Der Verklärte

Erscheinungsort

Waging am See

Erscheinungsjahr

2023

Verlag

Liliom Verlag

Seitenzahl

62

Preis in EUR

15,00

ISBN

978-3-96606-034-9

Kurzbiographie AutorIn

Dietmar Füssel, geb. 1958, lebt in St. Georgen im Attergau.