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Wie die Gegenwart so tickt lässt sich zwischendurch an Erzählungen ablesen, die auf der Höhe der Zeit mit allen Mitteln der Fiktions-Technik Stoff aus den Nischen des Daseins holen.

Adam Johnson lehrt nicht nur creative writing sondern entwickelt in Zusammenarbeit mit allen möglichen und unmöglichen Instituten in Stanford neue Standards des Erzählens. Medizin, Kybernetik, Digitalisierung und Cloud-Philosophie rollen das Schicksal moderner Menschen auf, die entweder verkabelt mit dem Tod ringen, von der jüngeren Stasi-Geschichte eingeholt werden oder in der Pornokultur versinken.

Fette Serienromane nehmen die Edition als Werkausgabe gleich vorweg und ersparen uns so diese kommentierten Ausgaben, die die Germanisten mittlerweile an allen Ecken und Enden loslassen.

Gerhard Henschel nämlich hat nichts anderes im Sinn, als seinen Helden Martin Schlosser halbwegs heil und unkommentiert durch die letzten Jahre der Bundesrepublik zu führen. Er nennt dessen Lebens-Abschnitte nach allgemeinen Gattungsbezeichnungen des Bildungsbürgertums schlicht Kindheitsroman, Jugendroman, Liebesroman, Abenteuerroman und jetzt Künstlerroman. Jeder Auftritt hat mindestens fünfhundert Seiten und beschäftigt sich mit dem heldenhaft quälenden Voranschreiten des Martin Schlosser, der im aktuellen Band bei 1986 angekommen ist.

Von Territorien sprechen vor allem Militärs und Hunde, die einen erobern und verteidigen Territorien nach Befehl, die anderen stecken ihre Territorien ab und markieren sie mit gehobenem Bein.

Susanne Gregor setzt ihre Heldin Emma irgendwo in der Mitte an, wenn es darum geht, die Empfindungs- und Zukunftsgebiete einer Ehe abzustecken. Emma und Sam sind ein Ehepaar in Wien, er ist aus Nicaragua für ein Uni-Projekt nach Wien gekommen, sie ist zwar auch an der Uni, aber vor allem damit beschäftigt, die Schwangerschaft in den Griff zu bekommen.

Auf gut Österreichisch bedeutet Schwund meist einen unerklärlichen Verlust, der beim Wirtschaften entsteht. Diebstähle, Transportunglücke und unerklärliche Lagerverluste bewirken meist einen Schwund, den man in der Bilanz achselzuckend zur Kenntnis nimmt.

Daniela Emminger setzt den Schwund im Leben ab, im Verlaufe der Zeit gehen auf zähe Weise Lebenskraft, Lebensfreunde und Lebenssinn verloren, der Mensch schwindet, bis er aus dieser Welt verschwunden ist.

Damit so etwas Garstiges wie der Kapitalismus funktioniert, muss er flächendeckend angewendet werden und bis in die letzte Ritze des Hauses hineinwirken.

Manfred Chobot versucht schon seit Jahrzehnten, diffusen Phänomenen im Alltag klar auf die Schliche zu kommen. Für das große Kapitel Grundbedürfnis Wohnen, Freiheit und Überwachung bietet sich die Figur des Hausmeisters oder der Hausmeisterin geradezu an. Eingeklemmt zwischen dem Hausbesitzer und dem Wohnungsbenützer braucht es schon sehr viel Gefühl und Sprachgewalt, nicht zwischen den beiden Interessengruppen aufgerieben zu werden.

Aufregende Bücher können seltsame Reaktionen auslösen, wie etwa, dass Dichter neidvoll wünschen, dieses Buch selbst geschrieben zu haben. Meist verschwinden diese Bücher gleich wieder, weil sie zu gefährlich gut sind.

Im Falle von Alexander Widner ist sein Hammer-Roman vom Nagel jetzt nach zwanzig Jahren wieder stark und spitz als Wieser-Taschenbuch greifbar. Und noch immer frisst der Neid Autoren wie Josef Haslinger, der dieses Buch gerne selber geschrieben hätte.

„Wo schreibt Caesar Geschichte, wo erfindet er sie – und macht das, wenn Worte Tatsachen schaffen, überhaupt einen Unterschied? Diese Fragen stehen stets im Hintergrund, wenn im vorliegenden Buch Caesars Schrift über den Gallischen Krieg, die als eine Stück Weltliteratur gelten muss, vorgestellt und in ihrer raffinierten Machart vor Augen geführt wird.“ (9)

Wohl alle, die in der Schule Latein gelernt haben, sind im Laufe des Unterrichts mit Caesars Werk über den Gallischen Krieg konfrontiert worden. Aber auch für allen andere gilt Caesar als einer der großen Feldherrn der Weltgeschichte. Wie sehr sich Caesar selbst dazu stilisiert und mit welch raffinierten literarischen Mitteln er seinem Kampf um die Macht, jenseits des großen Waffengetümmels ausgefochten hat, zeigt der Altphilologe Markus Schauer überaus eindrücklich in seiner Monographie „Der Gallische Krieg – Geschichte und Täuschung in Caesars Meisterwerk“.

Mit Meistererzählungen wird meist ein Meister geehrt, der für eine Werkausgabe noch nicht tot genug ist, beim Publikum aber bereits das Gütesiegel „zeitlos“ erworben hat.

William Trevor wird wegen seiner Bedächtigkeit oft der Bildhauer der Worte genannt. Neben seinen über zwanzig Romanen, in denen sich meist Helden so in sich entfaltet haben, dass sie kaum noch etwas außerhalb ihrer Reichweite mitbekommen, sind es vor allem die Kurzgeschichten, in denen die Zeit eingefroren wird an einem x-beliebigen Punkt der Biographie mit wenig Aussicht auf Veränderung.

Im Volksmund wird das Geglotze, das sich die Helden an der Bar kurz vor dem Umsinken in das Antlitz schmieren, lyrischer Blick genannt. Feiner ausgedrückt handelt es sich dabei um „dies irre Geglitzer in deinem Blick“.

Matthias Politycki lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass er das lyrische Handwerk beherrscht. Aus dieser Kompetenz heraus gibt er seine 111 Gedichte in eine Umrahmung, die vorne aus dem idealen Gedicht herausträufelt und hinten mit einem Kellner beschlossen wird, der alles abräumt und die Bude morgenfertig macht.

Auf der Überfahrt nach New York, wo der Groß-Affe mit großem Gewinn zur Schau gestellt werden soll, wird dem Kapitän des Schiffes Angst und Bang, weil Kong jederzeit alles zerdeppern könnte.

Alexander Kluge erzählt seit Jahrzehnten Geschichten, denen man nicht entkommt. „Kongs große Stunde“ erklärt in einem kurzen Vorspann, welche Mächte zutage treten, wenn man das eigene genetische Material zur Schau stellt. Und dann folgt nichts weniger als die Geschichte der Menschheit, entflochten und aufgedröselt in die Geschichten von Kong, die unmittelbaren Geschichte der Kluges in Halberstadt und in Geschichte der Gegenwart zerfleddert in tausende Kanäle.