Belletristik und Sachbücher

Eva Menasse, Vienna

h.schoenauer - 16.04.2005

Buch-CoverEin guter Roman steht und fällt mit dem ersten Satz. Eva Menasses Roman "Vienna" ist daher ex kathedra gesprochen ein guter Roman, denn der Anfangssatz wird den Lesern noch in Erinnerung sein, da mag der Roman schon längst auf der Halde der Antiquariate liegen. "Mein Vater war eine Sturzgeburt." (9) Wuff, nach so einem Satz gibt es nur noch eines: Weiterlesen!

Da raunzen sich auf vierhundert Seiten Figuren durch den Kosmos und schaffen durch Sprachstil, Ironie und perverses Abschweifen vom gerade ausgegebenen Thema jenen Kosmos, der sich durchaus Vienna nennen lässt. Der international gehaltene Namen dieser verrückten Stadt Wien deutet darauf hin, dass die Figuren auch eine Außensicht auf die Stadt haben, wenn auch nicht freiwillig.

Patrick Hamilton, Hangover Square

h.schoenauer - 16.04.2005

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Hangover ist jener Zustand, den man in den Alpen akademisch mit Spätfetzen oder Post-Sud bezeichnet. Der Hangover Square ist also ein Bermuda-Dreieck des Alkohols, worin Helden schon zu Lebzeiten immerwährend versickern können.

Von Patrick Hamilton wird daher in der Literaturgeschichte mit Süffisanz erzählt, dass er nach einem Autounfall für das Leben entstellt und die Literatur ideal eingestellt gewesen ist. Als krönender Abschluss solcher Dichterbiographien gilt dabei ein Tod infolge von Leberzirrhose.

Erwin Einzinger, Aus der Geschichte der Unterhaltungsmusik

h.schoenauer - 14.04.2005

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Manchmal stoßen in Romanen große Erzählsysteme wie kontinentale Platten aufeinander und erzeugen ein Erdbeben an Information.

In Erwin Einzingers Roman "Aus der Geschichte der Unterhaltungsmusik" stoßen Teile, wie man sie in Lexika nachblättert, auf Erfahrungsberichte, wie sie in Zeitungen stehen, und es entsteht dichteste Fiktion.

Martin Pichler, Nachtreise

h.schoenauer - 11.04.2005

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Jeder hat in seinem Kleiderschrank der Lektüre ein paar Sterbeklamotten hängen. Bei den germanistisch getunten Lesern ist das Hermann Brochs Roman "Der Tod des Vergil", worin es der antike Autor Vergil einfach nicht "derstirbt" und so noch bis zur Ermattung des Lesers das Abendland rettet.

Für Amerikanisten ist es William Faulkners "Als ich im Sterben lag". Darin berichtet einzigartig in der Literatur das erzählende Ich, wie es so beim Sterben zugeht. Und die österreichischen Patrioten haben natürlich Peter Handkes "Wunschloses Unglück" ganz vorne auf der Sterbestange hängen. Während der Sohn die Erinnerungsstücke an die verstorbene Mutter zusammenklaubt, entsteht dieses gepresste Panorama einer hyperharmonischen dörflichen Nachkriegsidylle.

Petra Ganglbauer, Glöckchen Nachtprogramm

h.schoenauer - 05.04.2005

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Absichtslosigkeit, Morphing, Kriegsmetaphorik - im Nachwort hat Petra Ganglbauer penibel aufgelistet, nach welchen Regeln das Skelett des Buches aufgebaut ist, und das Fleisch des Textes muss man als Leser ohnehin selbst Seite für Seite vom Knochen nagen.

Absichtslosigkeit ist ja wohl der häufigste Grund für Leser und Schreiber, sich mit einem Stoff zu beschäftigen. Wohin treibt es jemanden, wenn er sich gehen lässt, wohin gelangt er, wenn er auf der Sprache dahinsegelt, zu welchen Schlüsseln kommt er, wenn er semantisch surft.

Kirstin Breitenfellner, das ohr klingt nur vom horchen

h.schoenauer - 03.04.2005

Buch-CoverVielleicht sind poetische Ratgeber die beste Ermunterung, sich auf eine neue Sicht der Dinge einzulassen. Mit ihrem Roman ?Der Liebhaberreflex? hat Kirstin Breitfellner jüngst etwas recht Angenehmes publiziert, nämlich die Gepflogenheiten von Liebhabern, deren Liebreiz und das aufgegeilt Ungustiöse von Balzritualen auf ironische Art vorzuführen.

Im neuen Gedichtband "das ohr klingt nur vom horchen" geht es vordergründig um den medizinischen Zustand der Sinnesorgane, die für den poetischen Akt benötigt werden. Es ist erstaunlich, dass es zu jedem menschlichen Organ einen poetischen Begriff gibt. So heißen die Gedichte griffig wie lexikalische Einträge: Druckstellen, Lebensadern, Luftwege, Aderhaut, Speiseröhre, Nervenbahn.

Paul Flora, Stille Bilder

h.schoenauer - 30.03.2005

Buch-CoverWenn man schnell aufgeweckt drei imposante Tiroler nennen müsste, würde einem sicher Paul Flora einfallen, nicht nur, weil seine Bilder immer einen frisch geweckten Eindruck hinterlassen. Seine jüngste Sammlung nennt sich zeitlos reif und abgeklärt Stille Bilder.

Das sagt es sehr genau, denn über den Bildern liegt jener feine Schleier aus genauem Strich, den man sich vergeblich aus den Augen reibt, und die meisten Bilder handeln zudem noch von der stillsten Zeit des Jahres, dem Winter. Der Winter ist ja die schwierigste Jahreszeit beim Zeichnen. Wer einmal als Kind versucht hat, mit weißem Buntstift auf weißem Papier Schnee zu malen, wird wissen, wie teuflisch schwer sich der Winter in Malerei und Graphik einfangen lässt.

Sibylle Mulot, Die Fabrikanten

h.schoenauer - 27.03.2005

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Manchmal kann ein Stau im Geldfluss eine neue Sicht auf die Welt eröffnen.

In Sibylle Mulots Roman "Die Fabrikanten" ruft die Studentin Lis Kahn von Oslo aus zu Hause im Schwarzwald an, die Telefonmünze klemmt, das Gespräch mit der Mutter wird zeitlich unbegrenzt und es tut sich ein Abgrund auf. Die Familie ist bankrott, Lis muss sofort nach Hause fahren, das Studium abbrechen, Buchhändlerin werden und ihr Leben als Bürgschaft an die Bank verpfänden.

Martin Suter, Huber spannt aus

h.schoenauer - 27.03.2005

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Irgendwie ticken sie nicht richtig, diese Business-Menschen. Unter einander haben sie ein undurchschaubares Regelwerk der Kommunikation installiert, nach außen hin fungieren sie abgeschottet und quasi nicht von dieser Welt.

Martin Suter veröffentlicht seit Jahren satirische Miniknigges aus dem Dschungel der Business-Welt, dabei blicken dynamische Akteure plötzlich gelähmt auf ihr eigenes "Wurstelwerk" von Nonsens, während die von der Wirtschaft bereits still gelegten Menschen schadenfroh nicken: "Na macht nur mal!"

aut (Hrsg.), reprint ein lesebuch zu architektur und tirol

andreas.markt-huter - 22.03.2005

Buch-Cover„Reprint“ ist ein Lesebuch, in dem die Diskussion zur Architektur in Tirol anhand von zeitgenössischen Textes wieder erlebt werden kann.

Wenn das Thema auf den ersten Blick vielleicht ein wenig technisch und trocken erscheinen mag, erkennen wir nach einem weiteren Blick sehr rasch, wie sehr uns diese Diskussionen, die großteils bereits vor langer Zeit stattgefunden haben, auch heute noch betreffen. Ob wir wollen oder nicht: Architektur ist einfach unübersehbar und sticht ins Auge, manchmal angenehm, manchmal mehr als einem lieb ist.