Belletristik und Sachbücher

Martin Prinz, Die unsichtbaren Seiten

h.schoenauer - 02.09.2020

martin prinz, die unsichtbaren seitenDie höchste Roman-Kunst besteht darin, sein eigenes Leben so aufzuschreiben, dass man meint, es sei eine allgemeingültige Geschichte der Menschheit.

Martin Prinz hat seine Kindheit in der Peripherie-Hauptstadt Lilienfeld verbracht, die 1976 während der tausendjährigen Babenberger-Ausstellung zumindest in Österreich zu Weltruhm gelangt ist. In den unsichtbaren Seiten beschreibt er einerseits Teile des erzählenden Ichs, die normalerweise nicht sichtbar sind, andererseits liegt den aufgeschriebenen Sequenzen immer eine geheime, unsichtbare Chronik zugrunde, die zwar während des Lesens kurz aufleuchtet, dann aber wieder mit dem zugeklappten Cover im Regal verschwindet, wenn der Roman abgestellt wird.

Annett Krendlesberger, Zwei Blatt und zwei

h.schoenauer - 28.08.2020

annett krendlesberger, zwei blatt und zweiManchmal ist eine Seele so verletzt und aufgewühlt, dass sie nicht einmal mehr mit einem Roman über die Runden kommt, in so einem Fall hilft nur spitze Prosa.

Annett Krendlesbergers „Zwei Blatt und zwei“ ist natürlich ein Roman, wenn man ihn beim ersten Mal durchstreift, in einem zweiten Nachgang bemerkt man als Leser, dass es gerade jene, Schnitt für Schnitt, zertrennte Seelen-Helix ist, die in zwanzig Prosaanläufen als Thema herausgeschält wird.

Simon Konttas, Arme Leute

h.schoenauer - 24.08.2020

simon konttas, arme leuteIm Kapitalismus sind arme Leute die Systemverlierer, mit denen niemand mehr etwas zu tun haben will, wenn man ihnen das Geld abgezapft und nach oben hin umverteilt hat. Diese Armen tauchen dann noch verschämt in diversen Statistiken auf. Der Volksmund freilich verwendet den Begriff „arm“, um eine Schicht von Eigenbrötlern zu beschreiben, die in Ermangelung von Bildung den Konsum-Flow für den Lebenssinn halten.

Simon Konttas lässt in seinem Roman von den “armen Leuten“ eine Menge Protagonisten auftreten, die entweder über Patchwork-Familie, Schuljahrgang oder Grätzl miteinander zu tun haben. Über alle kann man aus der Hüfte heraus sagen: „Mei, ist der arm!“

Constantin Schreiber, Inside Islam

andreas.markt-huter - 19.08.2020

constantin schreiber, inside islam„Es ist eine Schwelle, die die wenigsten Deutschen überschreiten: die in eine der zahlreichen Moscheen in unserem Land. Wir wissen sehr wenig über das, was sich in diesen Moscheen wirklich abspielt, und spekulieren doch so häufig darüber – etwa dann, wenn verstörende Videos und Predigten uns aufschrecken.“ (S. 11)

Constantin Schreiber geht in seinem Moschee-Report der Frage nach, was in den Moscheen geschieht, was dort gepredigt wird und wer die Moscheen besucht. Der Autor hat acht Monate lange verschiedene Moscheen in Deutschland besucht und seine Erfahrungen dazu anschaulich dargestellt.

Petra Ganglbauer, Mit allen Sinnen

h.schoenauer - 19.08.2020

petra ganglbauer, mit allen sinnenIn der Literatur sind alle Zeiten gleichzeitig vorhanden, wenn wir uns auf den Weg machen, eine Erinnerung, eine Stadt oder eine Freundschaft abzurufen.

Petra Ganglbauer hat vor gut dreißig Jahren Graz verlassen und ist nach Wien gezogen, aber deshalb hat die Stadt noch lange nicht ihre Bindungen und Emotionen gekappt. Im Gegenteil, wenn jemand nach so langer Zeit einen intensiven Erkundungsaufenthalt angeht, springen plötzlich alle Sinne an. Deshalb ist dieses literarische Begegnungsbuch auch ein Rundum-Erlebnis, worin sich Kindheit, Spaziergänge, Plätze und Freunde auf dem Pflaster der Zeit wiedereinfinden.

Christian Moser-Sollmann, Tito, die Piaffe und das Einhorn

h.schoenauer - 10.08.2020

christian moser-sollmann, titoDie größte Integrationskunst ist dann gefragt, wenn es ein Mensch aus den Bundesländern in der Wiener Bobo-Szene mit anderen Bundesländer-Menschen zu tun kriegt.

Christian Moser-Sollmann weiß als gebürtiger Osttiroler in Wien, wovon er spricht. Sein Roman vom tragisch-jammernden Ich-Erzähler Tito, der tröstlichen Bar Einhorn und der Piaffe, einer ungezähmten Gangart des Pferdes, ist eine angespannte Liebesgeschichte, welche die herumlavierenden Protagonisten ordentlich fordert.

Lukas Meschik, Die Räume des Valentin Kemp

h.schoenauer - 05.08.2020

lukas meschik, die räume des valentin kempDie beunruhigenden Romane setzen oft mit einem Kontrollverlust des Erzählers ein, mal erwacht einer als Käfer, dann wird er auf einem Boulevard erstochen oder jemand tritt auf einen zu und es ist dunkel.

Bei Lukas Meschik erwacht der Held Valentin in einem fremden Raum. Er ist in einem Pub gewesen und vielleicht hat man ihm etwas ins Getränk gegeben. Andererseits scheint alles gut vorbereitet zu sein, als hätte das erste Mal in seinem Leben jemand auf ihn gewartet.

Gernot Werner Gruber, Die unglaubliche Reise des Bruder Luh, früher bekannt als Ötzi

h.schoenauer - 31.07.2020

gernot werner gruber, bruder luhWenn man sogenannte Helden aus ihrer angestammten Zeit nimmt, werden sie oft milde bis lächerlich. Auf jeden Fall aber halten sie der jeweiligen Gegenwart einen trüben Spiegel vors zeitgenössische Antlitz.

Gernot Werner Gruber belebt mit seiner „Reanimo“-Trilogie den Ötzi. Indem er diesen in der Gegenwart auftauchen lässt, entlarvt er auch den aktuellen Ötzi-Kult. So wie man in einen Kult an jeder Stelle einsteigen kann, kann man es auch in der Ötzi-Trilogie. Das Personal nämlich bleibt überschaubar.

Hans Haid, i schmeck in langes

h.schoenauer - 27.07.2020

hans haid, langesAn manchen Tagen steigt die Lyrik aus jeglichem Zeitgeist aus und erzählt etwas vom archaischen Verhältnis zwischen Mensch und Natur, Arbeit und Religion.

Hans Haid beschäftigt sich seit einem halben Jahrhundert mit den Menschen, die unter die Räder des Fortschritts kommen, mal ist er dabei Volkskundler, dann Museumsgestalter, mal Essayist und dann wieder Lyriker.

Bernard Mandeville, Eine bescheidene Streitschrift für öffentliche Freudenhäuser

h.schoenauer - 22.07.2020

bernard mandeville, streitschrift für öffentliche FreudenhäuserWer muss da nicht zugreifen: ein Buch mit Lesebändchen, saftig-erotischem Stich im Umschlaginneren und draußen am Pergament-goldenen Cover die herausquellenden Worte „Versuch über die Hurerei“!

Der Limbus-Verlag stellt immer wieder geheimnisvolle Aufklärungsbücher vor, sie sind meist dreihundert Jahre alt und werden der „klandestinen Literatur“ zugezählt. Damit sind Bücher gemeint, die man seit Jahrhunderten unter der Tuchent liest, und zu denen man fallweise wie bei der Hurerei befreiende Sex-Bewegungen macht.