Bosko Tomasevic, Risse

Ähnlich der Programmmusik gibt es auch eine Programmlyrik, worin ein bestimmtes Gedankensystem lyrisch verknotet werden soll.

Bosko Tomasevic legt als Philosoph und Lyriker ausdrücklich Wert auf diese Verknüpfung. Im Nachwort zu dem Lyrikband „Risse“ distanziert er sich von früheren Werken und zählt dann seine diversen Schreibjahrzehnte auf, in denen er sich als lyrischer Kompositeur programmatisch vor allem Heidegger, Beckett oder Celan genähert hat. Die literarische Vorgangsweise bezeichnet der Autor als „Dichtung der Erfahrung“, womit das Aufzeigen gewisser Begleitumstände der Existenz gemeint sei. (130)

Die vier Kapitel des aktuellen Lyrikbandes sind dann auch existentiell ausgelegt, die Richtlinien gleichen einem Kompass, der ohne Nadel in vier Himmelsrichtungen weist. „Wo und zurück / Falls es ein Weiter gibt / Nicht unabdingbare Rettung / Risse“ stellen Grundfragen des lyrischen Ichs in den Vordergrund, das verloren nach Orientierung sucht und sich dabei an vage Jahreszeiten des Empfindens halten muss.

Hinaus- und fortgegangen // allerorten ging ich hinaus / Schnee war überall / Schnee eines lauen Frühlings. / Allerorten bin ich fortgegangen / Murmansk im November / Murmansk in meiner erstgeborenen Erde / wann immer ich dorthin fortging / war es als wäre ich allerorten fortgegangen / rastlos. (51)

Kälte, Winter, Ortslosigkeit sind die Watte, in die das Individuum eingepackt wird, und auch der Ort Murmansk gilt einer verlorenen Generation als Wendepunkt eines unbegreiflichen Einsatzes jenseits des Polarkreises.

Ich schaue wie sie trocknen // An diesem Abend schaue ich / wie die Wäsche trocknet im Frost / wie der Rauhreif meiner Seele duftet / die meine Wäsche tragen wird / wenn die Tränen getrocknet sind / im Frost / im Bethaus freigiebige Hände / so vielversprechend / wie Rauhreif. (97)

Nur zaghaft wie zu spätes Gras sprießt ab und zu eine Hoffnung aus den Rissen, die keinen Anfang und kein Ende kennen.

Wenn ich jetzt nur dort wäre // Wenn ich jetzt nur dort wäre / es wäre Sommer / ein Fenster wäre offen / da wäre ein Lindenbaum / Birkenbäume da nach meiner Ankunft / es gäbe viel Nähe / ohne mich das Haus ein langer / Sommer der sich auf das Fenster senkt / wäre dort / ein Lindenbaum und Birken / Zeugen meiner Ankunft dort / Zeugen meines Abschieds dort. (109)

Viele Motive sind Anspielungen auf Gedichte von Paul Celan oder Reduktionen von Samuel Beckett, manchmal explizit ausgewiesen, dann wieder als Hommage oder als Triebfeder für das eigene Kreisen um abgenagte Existenzbegriffe. Vielleicht steckt in diesen Grenzerfahrungen des Ichs auch die eine oder andere Annotation, die Bosko Tomasevic während seiner Innsbrucker Zeit als Stadtschreiber gemacht hat.

Immerhin vergleichen harte Kritiker ja Innsbruck manchmal mit Murmansk.

Bosko Tomasevic, Risse. Gedichte. Aus dem Serbischen von Helmut Weinberger.
Ludwigsburg: POP Verlag 2015, 138 Seiten, 16,00 €, ISBN 978-3-86356-099-7

 

Weiterführende Links:
Pop Verlag: Bosko Tomasevic, Risse
Wikipedia: Bosko Tomasevic
Lesen in Tirol: Bosko Tomasevic: Ein literarisches Leben zwischen den Welten

 

Helmuth Schönauer, 17-05-2015

Bibliographie

AutorIn

Bosko Tomasevic

Buchtitel

Risse

Erscheinungsort

Ludwigsburg

Erscheinungsjahr

2015

Verlag

POP Verlag

Übersetzung

Helmut Weinberger

Seitenzahl

138

Preis in EUR

16,00

ISBN

978-3-86356-099-7

Kurzbiographie AutorIn

Bosko Tomasevic, geb. 1947 in Becej (Voiwodina), lebt in Wien. Er war erster Stadtschreiber in Innsbruck.<br />Helmut Weinberger, geb. 1964, ist Slawist an der Universität Innsbruck.<br /><br />