Jakob Philip Fallmerayer, Fragmente aus dem Orient

Was heutzutage Drohnen erledigen, musste früher mit mühsamen Reisen erkundet und aufgezeichnet werden. Eine dieser frühen Beobachtungsdrohne ist der Südtiroler Jakob Philip Fallmerayer aus Pairdorf bei Brixen, der in München ansässig jene berühmten Reisen unternommen hat, deren Aufzeichnungen als „Fragmente des Orients“ ihm über beide Ohren Anerkennung und Ruhm verabreicht haben.

Obwohl er als Mitglied der bayrischen Akademie der Wissenschaften einen wissenschaftlichen Grundkonsens herzustellen versucht, sind seine Schriften doch in der Hauptsache als Essays anzusehen.

Zwei Merkmale zeichnen diese Erkundungsschriften aus: sie sind hintennach gleichsam vom heimatlichen Schreibtisch aus komponiert und keine unmittelbaren Aufzeichnungen, und sie sind bewusst gesetzte Fragmente, so dass Fallmerayer in der Literatur als Miterfinder des Fragmentismus gilt, wiewohl seine Schriften äußerst umfangreich sind.

Die Fragmente aus dem Orient sind 1845 erschienen, die Reisen gehen vor allem ans Schwarze Meer nach Trapezunt und in Griechenland auf den mönchischen Athos. Gerade die Griechen-Einschätzung ist ihm nicht gut bekommen, in einer Zeit, wo halb Deutschland in den Griechen die edle Antike gesucht hat, stellt er die These auf, dass es gar keine Griechen mehr gibt, weil das inzwischen alles Slawen sind.

Wie man die "Slaven" auch nur nennt, entsteht in Deutschland schon Mißbehagen, Eifersucht und Zorn, man fühlt sich instinktmäßig aufgeregt wie gegen einen Erbfeind und Gegner, mit dem man einst noch um die höchsten Güter des Lebens, um Glück, Ruhm und Freiheit den Kampf zu bestehen habe. (350)

Stellen von der Art dieser patriotischen Gemüts-Schlachtbeschreibung stehen feine Pflanzen- und Gesteinsbeschreibungen gegenüber, etwa wenn es von der Kastanie am Athos heißt:

nirgends, selbst in Kolchis, treibt er mit solcher Fülle und Üppigkeit aus der Erde hervor, nirgend ist sein Blatt auch so hell und warmgrün, seine Frucht so süß, sein feiner Wuchs auch so riesenhaft. (187)

Der Prozess des langsamen Reisens, das ständige Innehalten, das Sammeln von Notaten, welche dann zu einem essayistischen Wurf zusammengeklebt werden, das alles macht Fallmerayer zu einem Urahn der modernen Reise-Essays. Und wie bei allen Berichten aus anderen Gegenden bringen sie frische Erkenntnisse, die dann zu Hause meist ideologisch richtig eingepasst werden.

Kein Wunder also, dass die Nazis an der Griechenlandbeschreibung Gefallen finden, als sie dort einmarschieren. Ein anderer Griechenlandbeschreiber, Erhart Kästner, steht ebenfalls in der Tradition Fallmerayers, während er als Hinter-Frontschreiber den Nazis dient.

Die Fragmente des Orients sind mit einem wunderbaren Nachwort von Ellen Hastaba ausgestattet, die Idee eines Neudruckes geht noch auf Paul Flora zurück, der seinerzeit vom Berg Athos so angetan gewesen ist, dass seither die Herausgebertruppe unbedingt einen frisch gedruckten Fallmerayer herausbringen will. - Ein fetter Schatz voller Fragmente, die letztlich ein Stück nahe gerückten Kosmos beschreiben.

Jakob Philip Fallmerayer, Fragmente aus dem Orient. Erster und zweiter Band. Herausgegeben von Ulrich Marthà. Nachwort Ellen Hastaba. Gelesen von Gert Westphal.
Bozen: Edition Raetia 2013. 480 Seiten. EUR 39,90. ISBN 978-88-7283-354-4.

 

Weiterführende Links:
Edition Raetia: Jakob Philip Fallmerayer, Fragmente aus dem Orient
Wikipedia: Jakob Philip Fallmerayer

 

Helmuth Schönauer, 22-01-2014

Bibliographie

AutorIn

Jakob Philip Fallmerayer

Buchtitel

Fragmente aus dem Orient. Erster und zweiter Band

Erscheinungsort

Bozen

Erscheinungsjahr

2013

Verlag

Edition Raetia

Herausgeber

Ulrich Marthà

Seitenzahl

480

Preis in EUR

39,90

ISBN

978-88-7283-354-4

Kurzbiographie AutorIn

Jakob Philip Fallmerayer, geb. 1790 in Pairdorf bei Brixen, gestorben 1961 in München.