Clare Furniss, Das Jahr, nachdem die Welt stehen blieb

„Ich habe immer gedacht, man würde irgendwie wissen, dass was Schreckliches passiert, es spüren, wie bei einem Gewitter, wenn es auf einmal so drückend und schwül ist, dass man weiß, man muss sich einen Unterschlupf suchen, wo man ausharren kann bis das Unwetter vorbei ist. Aber so ist es gar nicht.“ (12)

Das Leben der 15-jährigen Pearl gerät völlig aus den Fugen, als ihre Mutter bei der Frühgeburt ihrer Schwester stirbt. Vor kurzem erst war Pearl mit ihrer Mutter und ihrem Stiefvater wegen des erwarteten Nachwuchses übersiedelt, und jetzt muss sie sich plötzlich in einem Leben zurecht finden, in dem ihr Stiefvater fast nur noch Zeit für ihre verhasste Schwester zu haben scheint, die von Pearl ganz verächtlich nur als „die Ratte“ bezeichnet wird.

Nach der Beerdigung trifft Pearl überraschend in der Kirche den Geist ihrer verstorbenen Mutter. In einem Gespräch wirft ihr Pearl vor, einen wichtigen Termin bei der Hebamme verpasst zu haben und so Schuld an ihrem eigenen Tod zu haben. Pearl wird ihrer Mutter, deren oft unbedachtes und labiles Wesen sich auch nach ihrem Tod unverändert zeigt, noch öfter begegnen.

Die größten emotionalen Schwierigkeiten bereitet Pearl ihre kleine Schwester Rose, die als Frühgeburt die ersten Wochen im Brutkasten verbringen muss. Sie gibt dem Baby, das sie verächtlich immer nur als „die Ratte“ bezeichnet, die Schuld am Tod ihrer Mom. Auch das Verhältnis zu ihrem Stiefvater, der sie immer wie sein eigenes Kind behandelt hat und den sie auch ihren „Vater“ nennt, gerät zunehmend unter Spannung, da er sich zunächst vor allem um das kleine Baby im Krankenhaus kümmern muss.

Pearls Leistungen in der Schule lassen stetig nach und ihre sozialen Beziehungen, vor allem zu ihrer besten Freundin Molly, werden auf eine harte Probe gestellt. Überaus unfreundlich lässt sie alle ihre Abneigung und ihr Desinteresse an allem spüren. Auch Finn, der Enkel ihrer alten Nachbarin Dulcie, wird gleich bei ihrem ersten Aufeinandertreffen mit Pearls übler Laune konfrontiert. Trotzdem entwickelt sich zwischen den beiden eine zarte Freundschaft und Liebe.

Als Granny, die Mutter ihres Stiefvaters bei ihnen einzieht, um bei der Betreuung des Baby und des Haushaltes zu helfen, droht die Situation zu eskalieren, vor allem, weil ihre Mutter und Granny ein spannungsgeladenes Verhältnis hatten, weshalb Pearl Granny nie besuchen durfte.

Clare Furniss Heldin Pearl ist egozentrisch, unfreundlich und in ihrem Selbstmitleid und in ihrer Trauer um den Tod ihrer Mutter gefangen und somit auf den ersten Blick alles andere als eine ideale Identifikationsfigur. Sie ist aber auch überaus realistisch in ihrer Unvollkommenheit, Unsicherheit und unbeholfenen Umgang mit ihrer Trauer, mit der sie die Leserinnen und Leser zu ergreifen vermag.

Ihr Hass auf die Ungerechtigkeit des Lebens ist genauso authentisch wie irrational und rüttelt die Leserinnen und Leser immer wieder auf, wenn sie beispielsweise ihre kleine unschuldige Schwester notorisch und konsequent nur als „die Ratte“ bezeichnet, oder allen, die ihr helfen wollen, durch ihre unfreundliche Art vor den Kopf stößt.

Interessant scheint auch wie sich der Blick auf ihr Leben im Laufe der Monate und der Gespräche mit ihrer verstorbenen Mutter zunehmend zu verändern beginnt und die Frage nach Schuld und Schicksal neu bewertet wird. Das Ende ist versöhnlich, als es Pearl gelingt eine Freundschaft mit Finn zu beginnen und ihre Schwester endlich mit „Rose“ zu bezeichnen. Ein überaus beeindruckendes Buch, mit starken, realistischen Charakteren, die verletzen und leiden wie das Leben selbst.

Clare Furniss, Das Jahr, nachdem die Welt stehen blieb. Übers. v. Andrea O'Brien [Orig. Titel: The Year oft he Rat], ab 14 Jahren
München: Hanser Verlag 2014, 272 Seiten, 17,40 €, ISBN 978-3-446-24626-3

 

Weiterführende Links:
Hanser Verlag: Clare Furniss, Das Jahr, nachdem die Welt stehen blieb
Homepage: Clare Furniss

 

Andreas Markt-Huter, 20-02-2015

Bibliographie

AutorIn

Clare Furniss

Buchtitel

Das Jahr, nachdem die Welt stehen blieb

Originaltitel

The Year oft he Rat

Erscheinungsort

München

Erscheinungsjahr

2014

Verlag

Hanser Verlag

Übersetzung

Andrea O'Brien

Seitenzahl

272

Preis in EUR

17,40

ISBN

978-3-446-24626-3

Lesealter

Zielgruppe

Kurzbiographie AutorIn

Clare Furniss studierte an der Cambridge University und arbeitete mehrere Jahre in der politischen Öffentlichkeitsarbeit. Sie hat ihren Master im kreativen Schreiben von Kinder- und Jugendliteratur an der Bath Spa University absolviert und lebt heute in Bath.