Waldtraut Lewin, Der Wind trägt die Worte, Band 1

„Diese Buch rollt ein Stück des großen Welttheaters von einem ungewohnten Blickwinkel her auf: Es will – wie in einem Brennpunkt – die Sicht der anderen auf die Juden und die Sicht der Juden auf sich selbst und die anderen darstellen.“ (7)

Waltraud Lewin führt die Leserinnen und Leser auf eine fesselnde Reise durch die 1000-jährige Geschichte des jüdischen Volkes. Im ersten Band von der dunklen mythischen Vorzeit bis hinauf in die Neuzeit. Der zweite Band wird den Weg bis in die jüngste Gegenwart fortsetzen.

Von der ersten Seite weg werden die Leserinnen und Leser in den Sog der jüdischen Geschichten gezogen, die einerseits so vertraut und andererseits doch wieder sehr fremd erscheinen. Dabei machen die wechselnden Perspektiven der Erzählungen den besonderen Reiz der Darstellung aus. Aber auch der Wechsel zwischen historischen Fakten einerseits und  zwischen den Berichten jüdischer Zeitzeugen andererseits sowie zu erfundenen Geschichten zu realen Personen und Ereignissen gibt dem Buch eine Lebendigkeit, die zu fesseln versteht.

Der erste Teil „Erwähltes Volk oder: Ein einziger Gott“ beginnt mit der jüdischen Vorgeschichte, mit den drei Erzvätern Abraham, Isaak und Jakob, die als Nomaden nach Weideland für ihre Tiere suchten und dabei einen Bund mit Gott eingingen, ein Bund der Gott und die auserwählten Menschen erstmals in Augenhöhe miteinander kommunizieren lässt.

Auch die Geschichte rund um Josef und die Auswanderung der Israeliten nach Ägypten bezieht sich auf den Tanach, die Heilige Schrift des Judentums, als Quelle. Hier betreten wir erstmals einen Punkt der Überlieferung, in der sich auch die Weltgeschichte widerspiegelt. Neben dem archäologischen Befund und dem historischen Hintergrund der ägyptischen Geschichte finden wir den weiteren Verlauf der biblischen Geschichte rund um Jakob und Josef und erleben den jungen eingesperrt Joseph, der vom Pharao wegen seiner Träume zu Rate gezogen wird und zu seinem wichtigsten Berater aufsteigt.

Der weitere Verlauf erzählt die Geschichte von Mose und dem Auszug der Israeliten aus Ägypten und der zahlreichen jüdischen Traditionen, die sich auf diese Ereignisse gründen und in Folge den historischen Horizont der jüdischen Geschichte, die mit König David, der Eroberung Jerusalems und der Regierungszeit König Salomons auch gleich ihren machtpolitischen Höhepunkt erreicht.

Das Kapitel „Zerfall und Hoffnung“ thematisiert bereits den Niedergang, beginnend im Norden mit der Eroberung Israels durch die Assyrer und schließlich der Eroberung Judäas durch die Babylonier. Dabei soll sich das Trauma des babylonischen Exils als die eigentliche Geburtsstunde des Judentums erweisen. Mit der Eroberung Judäas durch die Römer und der Niederschlagung des jüdischen Aufstandes, setzt ein neues Kapitel der jüdischen Geschichte ein die „Diaspora“.

Die nächsten Kapitel behandelt das Leben in der Fremde Europas, ein nicht nur geographischer Klimawechsel sondern auch der Beginn des Lebens als Außenseiter, wobei sich das Pendel von nun an zwischen Duldung und Verfolgung bewegen wird. Nach einer Blüte im Schatten der arabischen Eroberung Andalusiens kommt es zu gewalttätigen Übergriffen durch die Muslime und später durch die Christen. Zwischen all den historischen Berichten und Geschichten finden wir immer wieder faszinierende Gestalten wie den Rabbi Abraham Abulafia, der in der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts lebte und als der Mann in die Geschichte einging, der den Papst bekehren wollte.

Waltraud Lewin legt jedoch besonderen Wert darauf, die jüdische Geschichte nicht nur als Geschichte der Verfolgung und des Leids darzustellen, sondern auch die zahlreichen Quellen der Inspiration, die kulturellen Höhepunkte und die zahlreichen großen Persönlichkeiten der jüdischen Geschichte in das rechte Licht zu rücken, wie z.B. den großen Philosophen Moses Maimonides oder Isaak Abrabanel, aber auch Verteidiger des Judentums wie etwa Johannes Reuchlin.

Mehr als 3000 Jahre jüdischer Geschichte und Geschichten in fast 800 Seiten verpackt, scheint vor allem für jüngere Leserinnen und Leser zunächst eine harte Kost. Die einzeln lesbaren Kapitel und der Wechsel der verschiedenen Erzählebenen machen das Buch aber zu einem fesselnden Leseerlebnis das sowohl junge als auch ältere Leserinnen und Leser in seinen Bann ziehen wird. Ein beeindruckendes und aufregendes Leseerlebnis und ein ganz wichtiges Buch mit einer neuen, spannenden Sichtweise auf die europäische Geschichte, das vorbehaltlos weiterempfohlen werden kann.

Ebenso empfehlenswert zeigt sich die Hörbuchausgabe zum Buch, die von der Autorin selbst, gemeinsam mit der bekannten Schauspielerin Katja Rieman und dem bekannten Schauspieler Ilja Richter ebenso eindrucksvoll wie einfühlsam gelesen wird.

Waldtraut Lewin, Der Wind trägt die Worte. Geschichte und Geschichten der Juden, Erstes Buch: Von der Zeit der Legenden bis zum Ausgang des Mittelalters, ab 12 Jahren
München: Cbj-Verlag 2012, 768 Seiten, 25,70 €, ISBN 978-3-570-13482-5

Waldtraut Lewin, Der Wind trägt die Worte - Geschichte und Geschichten der Juden. Erstes Buch: Von der Zeit der Legenden bis zum Ausgang des Mittelalters, gelesen von Waldtraut Lewin, Ilja Richter, Katja Riemann, ab 13 Jahren
München: Cbj-audio Verlag 2012, 6 Audio-CDs, Laufzeit: ca. 420 Minuten, 24,99 €, ISBN 978-3-8371-1284-9

 

Weiterführende Links:
Cbj-Verlag: Waldtraut Lewin, Der Wind trägt die Worte (Bd. 1)
Cbj-audio Verlag: Hörbuch - Waldtraut Lewin, Der Wind trägt die Worte (Bd. 1)
Wikipedia: Waldtraut Lewin

 

Andreas Markt-Huter, 13-01-20014

Bibliographie

AutorIn

Waldtraut Lewin

Buchtitel

Der Wind trägt die Worte. Geschichte und Geschichten der Juden, Erstes Buch: Von der Zeit der Legenden bis zum Ausgang des Mittelalters

Erscheinungsort

München

Erscheinungsjahr

2012

Verlag

cbj Verlag

Seitenzahl

768

Preis in EUR

25,70

ISBN

978-3-570-13482-5

Lesealter

Altersangabe Verlag

12

Zielgruppe

Kurzbiographie AutorIn

Waldtraut Lewin studierte Germanistik und Theaterwissenschaft in Berlin und arbeitete als Opernübersetzerin, Dramaturgin und Regisseurin zunächst am Landestheater Halle und dann am Volkstheater Rostock. Seit 1978 arbeitet sie als freischaffende Autorin von Romanen, Hörspielen und Drehbüchern, für die sie zahlreiche Auszeichnungen erhielt.