Lilly Sauter, Mondfinsternis

Der hundertste Geburtstag von Dichterinnen und Dichter ist für zeitlose Leser immer ein willkommener Anlass, deren Werk in der aktuellen Verankerung zu überprüfen durch Nachlesen.

Lilly Sauters literarisches Werk ist geprägt von der Verschmelzung mit Malerei, Graphik und Skulptur, als Journalistin, Übersetzerin und Ausstellungsmanagerin hat sie permanent über die Kunst der 1950er und 1960er Jahre in Tirol berichtet.

Aus dem Abstand eines halben Jahrhunderts heraus liest man heute, wie mühsam es letztlich gewesen sein muss, nach dem Krieg internationale Kunst und Literatur nach Tirol zu bringen. Eine Oase für diesen Kulturtransfer ist dabei das französische Kulturinstitut in Innsbruck, das Kultur und Demokratie ins Gebirge gebracht hat.

Eine literarische Besonderheit stellen die sogenannten Kunstgedichte dar. Dabei entwickeln sich bei der Rezeption von Kunstwerken eigenartige Gedichte, die den gesehenen Stoff zu einem individuell gebrochenen Kunstereignis ausformen.

Landschaft mit Brecht, Mädchenbildnis nach Georges Braque oder Noa Noa aus dem Skizzenbuch Gaugins sind eigenständige Kunstwerke verankert in den fünfziger Jahren in Tirol.

Neben einer frühen Einbegleitung zu Ingeborg Bachmann, einer Skizze zu einer versunkenen Stadt ohne Namen, ist es vor allem die Novelle Mondfinsternis, die zeitlos aufregend das Wesen der Kunst beschreibt.

In der Mondnovelle stößt eine Ausstellungsmacherin auf den verstorbenen Maler Prack, der noch ein paar wesentliche Blätter auf einem Castell oberhalb des Etschtals versteckt hat.

Die Ich-Erzählerin begibt sich auf das Schloss und zelebriert die Welt der Kriegsheimkehrer und Kriegsvertriebenen, die allmählich wieder zu Kunst und Sinnen kommen. Tatsächlich tauchen die erwarteten wunderbaren Zeichnungen auf, sie dokumentieren neben dem Leitmotiv der blauen Disteln auch diverse Familienverhältnisse, die für die Hinterbliebenen nicht gut sind.

Es kann nur geschehen, dass die Dinge verloren sind, weil wir sie gefunden haben. (62)

Um die Familie in Ruhe und die Kunst dort zu belassen, wo sie ihre größte Kraft entwickelt, nämlich in der Erinnerung, zünden nach einer Nacht mit emotionaler Mondfinsternis der Clan-Obmann und die Ausstellungsmacherin die Bilder an und vernichten sie.

Man muss bei Licht tun, was die Leute nicht sehen sollen. (69)

Letztlich leben die Kunstwerke nur in den Nachbildern in uns, wenn diese Werke schon einmal in voller Kraft gesichtet worden sind, werden sie vielleicht unsterblich, auch wenn sie verloren gegangen sind. Lilly Sauters Texte erzählen viel von der Farbe und der Atmosphäre jener Föhn geplagten 1950er Jahre, die sich trefflich mit ihrem Bild der stahlblauen Disteln beschreiben lassen.

Lilly Sauter, Mondfinsternis. Ausgewählte Werke. Herausgegeben von Karl Ziegler und Walter Methlagl unter Mitarbeit von Verena Zankl und Christine Riccabona.
Innsbruck: Haymon 2013. 280 Seiten. EUR 24,90. ISBN 978-3-7099-7032-4.

 

Weiterführender Link:
Haymon-Verlag: Lilly Sauter, Mondfinsternis

 

Helmuth Schönauer, 18-06-2013

Bibliographie

AutorIn

Lilly Sauter

Buchtitel

Mondfinsternis. Ausgewählte Werke

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2013

Verlag

Haymon Verlag

Herausgeber

Karl Ziegler / Walter Methlagl

Seitenzahl

280

Preis in EUR

24,90

ISBN

978-3-7099-7032-4

Kurzbiographie AutorIn

Lilly Sauter, geb. 1913 in Wien, starb 1972 auf Schloss Ambras.