Ulrike Kotzina, Box
Box ist eine fiktive Live-Show, dabei werden Paare in eine durchsichtige Box gesperrt, damit sie sich im Rahmen eines Erkennungsspieles vor der Kamera zerfleischen.
Ulrike Kotzina setzt ihr Protagonisten-Pärchen Anna und Nathan der Schau-Lust des Publikums und der eigenen Verunsicherung aus. Die Protagonisten sind Paradepferdchen einer Gesellschaft, die eine ganze Generation durch prekäre Verhältnisse und ständigem Paradigmenwechsel auf Trab hält. Anna hat ein Übersetzerstudium für die Wäsche und Nathan entwickelt gerade ein Computerspiel namens Utopia, mit dem er nicht zu Ende kommt.
Um dem faden Einerlei ihrer diffusen Beziehung einen Kick zu verschaffen, meldet Anna sich und Nathan für die Box-Show an. Von diesem Spiel erwartet sie sich eine neue Realität, denn in der bisherigen ist Nathan vor allem in seinem Spiel abgetaucht. Plötzlich tauchen ganz neue Probleme auf. Wie bereitet man sich auf ein Casting vor, kann man sich für ein Spiel in der realen Welt vorbereiten und wo sind die Grenzen zwischen dem Spiel und der Welt voller Schwerkraft?
Durch das anstehende Box-Abenteuer verschärft sich die Situation. Nathan kommt mit dem Programmieren nicht zu Ende, sein Spiel versagt gerade im entscheidenden Augenblick. Der Körper reagiert unbarmherzig mit Kreislaufstörungen und einem formidablen Tinnitus. Anna hingegen spielt mögliche Szenen so lange durch, bis sie den letzten Rest von Wirklichkeit verloren hat.
Und dann kommt es zum finalen Schlagabtausch zwischen den beiden als Paar, zwischen physischem Niederschlag und psychischer Niederlage, zwischen der brutalen Miniwelt in der Box und dem amorphen Zuschauergenuss draußen im Sendebereich. Ein echtes Erdbeben mit echten Opfern hat Priorität vor der Show mit niedergespielten Opfern. Die Sendung Box wird nach hinten verlegt, das Show-Paar weiß nicht, ob es schon auf Sendung ist, was Regieanweisung sein soll und was Spiel. Jedenfalls verlieren beide jegliches Gefühl für den anderen und gehen auf offener Bühne fremd. Es ist letztlich egal, ob die Box die Lebenskrise ausgelöst hat oder ob sie darin nur zum Vorschein gekommen ist.
Ulrike Kotzina löst die Grenzen zwischen Spiel und Wirklichkeit auf. Was einerseits die grenzenlose Zuneigung ermöglichen könnte, nämlich sie offen zu dokumentieren, wird durch den perversen Charakter dieser Shows und Home-Storys völlig zerstört. Wer sich mit den Flöhen des Show-Business ins Bett legt, wacht in der Box des Psychiaters auf. Wer sich selbst in ein Computerspiel hineinprogrammiert, geht in seiner eigenen Cloud verloren. – Ein faszinierendes Vexierspiel mit Intimitäten, die in der Kommunikationsspielmaschine zertrümmert werden.
Ulrike Kotzina, Box. Roman
Innsbruck: Edition Laurin 2016, 320 Seiten, 23,90 €, ISBN 978-3-902866-42-4
Weiterführender Link:
Edition Laurin: Ulrike Kotzina, Box
Helmuth Schönauer, 28-10-2016