Alois Hotschnig, Die Kinder beruhigte das nicht

Buch-Cover

Manchmal gibt es zwischen den Lesern und dem Autor so etwas wie unausgesprochene Freundschaft, das heißt, die Leser warten tapfer auf das nächste Buch und machen sich Sorgen, ob der Autor wohl nicht verschollen ist mit seiner Erzählkunst.

Und dann taucht das Buch als fröhliches Lebenszeichen auf, alles in Ordnung, scheint der Autor zu erzählen, ich habe nur besonders sorgfältig gearbeitet, deshalb hat es ein wenig gedauert.

Alois Hotschnigs neun neue Erzählungen sind unter dem pädagogisch abwinkenden Titel „Die Kinder beruhigte das nicht“ aufgefädelt. Es geht dabei um Versuche, etwas durch Erzählen in Ordnung zu bringen. Aber das Ergebnis ist jeweils aufwühlend frustrierend, wie es eben Gutenachtgeschichten sind, welche Kinder so aufwühlen, dass sie erst recht nicht einschlafen können.

„Dieselbe Stille, dasselbe Geschrei“ heißt die Eröffnungsgeschichte, die den Leser aufsaugt, beunruhigt, aufgekratzt diffus in seiner Wahrnehmung macht. Der Erzähler wuchert in ein Nachbargrundstück am See, wo über die Jahreszeit hindurch ein Paar Liegen aufstellt und sich dem Wetter aussetzt. Der Erzähler beginnt als verstörter Voyeur in die Körper der Nachbarn einzudringen, später mischt er sich in den Tagesablauf, indem er fotografiert und die Handlungen am Nachbarssteg auf dem eigenen Grundstück doubelt.

„Welcher Handlung ich hier beiwohnte, wusste ich nicht, und die Regeln, nach denen das alles geschah, waren nicht zu erkennen, und doch war ich jeden Tag mit dabei, gegen meinen Willen und gierig danach, es zu sehen.“ (19)

Einmal besteigt der Erzähler nach einer Expedition im See mit letzter Kraft den Nachbarssteg, aber die beobachtete Welt ist eine andere als die bestiegene. Irgendwann taucht dann der Vermieter auf und erlöst ihn, indem er von nun an auf das Nachbargrundstück starrt, mit derselben Stille und mit demselben Geschrei.

In der Erzählung „Eine Tür geht dann auf und fällt zu“ wird der Erzähler von einer Frau abgefangen und in ihre Wohnung geleitet, wo bereits die Puppen aufgefädelt sind. Groß ist das Erstaunen, als auch eine Puppe mit den eigenen Zügen dabei ist, welche besonders gestreichelt wird. Allmählich geht das eigene Dasein in ein Puppendasein über, wie wir ja auch von der Kindheit nur mehr die Aura in Erinnerung behalten und nicht uns selbst. Die Überschrift „Vielleicht diesmal, vielleicht jetzt“ sagt es recht genau, dass es nie oder immer sein wird, dass der Onkel Walter kommt. Wie im Stück Warten auf Godot kommt und kommt der erlösende Onkel nicht zur Familienfeier, aber das Warten wird so heftig, dass der Onkel eigentlich immer anwesend ist.

Allein schon die Titel der Erzählungen handeln von jenem Spalt unter geschlossenen Erzähltüren, durch den als scharfe Lichtkante die komplette Geschichte entweicht. Sieht man letztlich bei geöffneter Tür nach, ist alles schon entschwunden. Als Leser ist man mehrmals nahe daran, wegen dieser Entweichung von Realität wahnsinnig zu werden.

Aber das ist die hohe Erzählkunst Alois Hotschnigs, die Geschichten sind so dicht, dass man sie nicht nacherzählen kann, man kann nur den Druck beschreiben, mit dem sie ins Gemüt eindringen, aufregend still und wunderbar zischend.

Alois Hotschnig, Die Kinder beruhigte das nicht. Erzählungen.
Köln: Kiepenheuer & Witsch 2006, 126 Seiten, EUR 15,40. ISBN 978-3-462-03685-5

Weiterführende Links:
Kiepenheuer & Witsch-Verlag, Hotschnig, Die Kinder beruhigte das nicht
Wikipedia: Alois Hotschnig

 

Helmuth Schönauer, 27-02-2006

Bibliographie

AutorIn

Alois Hotschnig

Buchtitel

Die Kinder beruhigte das nicht

Erscheinungsort

Köln

Erscheinungsjahr

2006

Verlag

Kiepenheuer & Witsch

Seitenzahl

126

Preis in EUR

EUR 15,40

ISBN

978-3-462-03685-5

Kurzbiographie AutorIn

Alois Hotschnig, geb. 1959, lebt in Innsbruck.