Figuren aus der Mythologie tauchen gerne wie in der Spionageszene als Schläfer ab, ehe sie dann zu einem besonderen Anlass geweckt und zu einem frischen Einsatz gebracht werden.

Birgit Schwaner hat für ihre dystopische Erzählung von einem digital entgleisten Gemeinwesen den einäugigen Zyklopen Polyphem zum Leben erweckt. Wie in unserer Gesellschaft üblich, dient der griechische Heroe als Namensspender für ein raffiniertes Produkt, in diesem Falle sind es Überwachungsdrohnen, die offensichtlich einäugig über der Stadt schweben.

Kinder oder Hunde, die sich auffällig benehmen, werden gegenüber der Umwelt oft mit den Sätzen verteidigt, der tut nichts, der ist ein braver Hund, das ist kein böses Kind!

Fabian Oppolzer erzählt von dem auffälligen aber nicht bösen Kind Paul, das offensichtlich schwer beeinträchtigt ist und seine Eltern phasenweise zur Gutmüdigkeit herausfordert.

In der Literatur ist der Mond oft für jene Verhältnisse zuständig, die auf der Erde nicht möglich sind.

Julia Kissina erzählt vom „Zustand des Lunitarismus“, den ein etwa zwölfjähriges Mädchen erlebt, ehe es dann rasch erwachsen wird. Die Ich-Erzählerin ist gerade dabei, sich als Individuum zu fassen und gewisse Lebensprogramme zu starten. Sie lebt im Umbruch mit sich selbst, und auch die Stadt Kiew, worin sie ihre Lebenserfahrungen macht, ist gerade im Umbruch.

Manchmal ist die Rahmenhandlung aufregender als die Geschichte, die sie in ihrem Kern umrahmt.

Die Insel von jenseitiger Zeit liegt naturgemäß hinter allen Zeiten als Ort der Sehnsucht, Erlösung und gelungener Selbstverwirklichung. Klaus Bielau versteckt diese Insel mit erzähltechnischen Tricks in einem amorphen Gebinde aus Raum und Zeit.

Nicht nur Städte, Flüsse oder Gebirge lösen in uns an manchen Tagen Sehnsucht nach Poesie aus, manchmal sind es auch Verkehrswege, wie etwa die „Transsib“ oder die Route 66.

Beppo Beyerl wandelt in seinem historischen Sehnsuchtsführer auf der Straße mit sieben Namen, angelegt zwischen Wien und Triest. Natürlich schwingt etwas von einem geheimnisvollen Weg mit sieben Siegeln mit, andererseits führt die Straße zumindest vor der Haustüre in Wien den verkehrs-berüchtigten Namen Triester Straße oder Bundesstraße siebzehn.

Jeder Landstrich braucht seinen eigenen Chronisten, um in die Besonderheiten des Geländes auch mit entsprechender Tiefenschärfe einzudringen.

Martin Ahrends bedient sich für seine Satiren aus der ostdeutschen Provinz der Krähe, um das darniederliegende Land in Randlage zumindest in der Fiktion wieder in die Höhe zu bringen.

Manche Institutionen entfalten erst dann ihre wahre Größe, wenn sie physisch devastiert und psychisch verdrängt sind.

Auf Victor Tiefenbrunners Story-Pinnwand „Sportcafé“ verrotten und vergilben die Geschichten bereits oder sind gar wie viele ihrer Helden schon unter der Erde. Aber kaum schlägt jemand einen Erinnerungston an, braust schon die ganze Symphonie eines niedergerungenen Trinkorchesters los.

Manche Titel brechen einem schon beim puren Vor-sich-hin-Murmeln das Herz, weil sie es in einer brutalen Silbenfolge so richtig sagen. „Brechen-brach-gebrochen“ erinnert an ungute Situationen, wo jemand vielleicht die Sprache lernen muss, während sie ihm ein anderer einprügelt und dadurch das Rückgrat bricht.

Luise Maria Schöpf bricht ihre Gedichte und Aphorismen oft wörtlich übers Knie, und wenn dann die semantischen Splitter durch die Gegend fliegen, ist vielleicht der Gedanke frei, der in einem Wortknäuel verwürgt gewesen ist.

Was tun eigentlich die Aussteiger, wenn sie aus der Stadt flüchten und sich am Land niederlassen? Gibt es eine Aussteigerkultur? Und woher wissen diese Helden, wie sie ihre Abenteuer anzugehen haben?

Eva Rossmann schickt die Ich-Erzählerin Anna und ihren Hans in eine abenteuerliche Gegend, die es durchaus mit dem Inventar des Weinviertels aufnehmen kann. Die beiden müssen eine Auszeit vom öffentlichen Leben nehmen, weil der Erzählerin im Zusammenhang mit der Ausländerpolitik der Regierung die Hand ausgekommen ist, in welcher eine Torte gelagert war, die dem Bundeskanzler ins Gesicht gezischt ist.

Wenn sich eine Lese-Gesellschaft einmal dafür entschieden hat, einen Klassiker auszurufen, dann muss dessen Status immer wieder überprüft und müssen seine Texte für jede Generation zugänglich gemacht werden.

Norbert C. Kaser ist verdientermaßen ein Klassiker, er hat die Südtiroler Literatur zum Leben erweckt und mit seinem klaren Furor dem Land mehr Selbstbewusstsein geschenkt als alle Landeshauptleute zusammen.