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Wasser und Wind sind kaum beschreibbare Urelemente, wenn sie auf die Haut treffen. Wasser und Wind können Geschichten begleiten, aber um diese Elemente halbwegs zu fassen, kann nur die Gedichtform helfen.

Marie-Thérèse Kerschbaumer nimmt das stärkste sprachliche Werkzeug zur Hand, um die Gewalten in Zeilen zu zähmen. Der Ton ist oft imposant, elegisch, euphorisch angehoben. Manches mal nehmen die Anrufungen kein Ende und dauern so lange, bis etwa der Wassertropfen von seiner Quelle am Ziel seiner Verdunstung angelangt ist.

Buch-CoverManchmal wird ein Ort veredelt durch die Anwesenheit eines Genies, manchmal wird dieser Ort auch zu einem Synonym für das beherbergte Genie. Bei Todtnauberg handelt es sich um einen solchen Wallfahrtsort der Philosophie. Kein Geringerer als Mister Martin Heidegger hat in diesem Schwarzwald-Ort seine Blockhütte aufgestellt und der Welt das Sinnieren über das Wesen, Ent-Wesen und Ver-Wesen beigebracht.

Der Autor Bosko Tomasevic siedelt seine Gedichte im Umfeld dieses mythischen Ortes an, schickt Sehnsüchte nach Todtnauberg, lässt lyrische Figuren aus mehreren Zeiten zueinander sprechen und errichtet so einen Gedächtnisschrein, auf dem die heftigsten Dichter wie Friedrich Hölderlin, Paul Celan oder René Char ihre lyrischen Devotionalien ablegen. Auch Georg Trakl wispert aus dem Lanser Moor bei Innsbruck eine Zeile in Richtung Westen.

kehrer_lichtschur.gifAlso vorsichtig formuliert sind diese geschorenen Gedichte dünn, kurz, oft gibt es nur ein paar Wörter und Wortteile zu sehen und zu verstehen. Verstehen ist vielleicht gar nicht so wichtig, die semantischen Pflugscharen im Sprachacker sind oft nur abgestellte Geräte, mit denen in einer besseren Jahreszeit etwas passieren könnte.

So wird "lichtschur" zu einem guten Motto: die Begriffe sind ihrer überschüssigen Bedeutungswolle entledigt und gehen kahl geschoren lichtem Sinn entgegen. Manchmal werden die Kompositionen ziemlich stark strapaziert, wenn etwa "in scheiterndem grün" (84) Kassandra lächelt. Manchmal werden auch die Gesetze der Optik etwas heraus gefordert, wenn es um farbvolle Schatten geht (62) oder etwas aufwärts dunkeln muss (47).

Buch-CoverManifesto vigilancia kann man vielleicht als lyrisches Überwachungsprotokoll übersetzen. Wolfgang Brunners Gedichte sind nämlich vom Schriftbild her gesehen als Protokoll angefertigt, das ein rasch tippender Polizist nach einem Ereignis in Echtzeit zu bewältigen versucht. Die Szenerie ist oft recht unaufällig, aber eine Kleinigkeit ist dann unsachgemäß installiert und evoziert ein Gedicht.

Raucher stehen bei schrecklichen Minusgraden am Balkon und fühlen sich berauscht, aber sie überschätzen die Lage und kennen sich plötzlich nicht mehr aus. Eine Bar zum Liebhaben wird eingerichtet und schon zeiht sich eine Bratenspur aus Altöl bis hinauf zur Staumauer, dahinter hat sich das Brennnesselland versteckt.

Buch-CoverEin Wort, das nicht gesprochen wird, verflüchtigt sich aus dem Wortschatz. Gott ist so ein Wort, das nach Ansicht von Hans Augustin ziemliche große Lust auf Verflüchtigung hat. In knapp fünfzig Gedichten wird daher Gott wieder in den Sprachgebrauch reanimiert, und das in recht aufregendem Ambiente.

"Und wohnt mitten unter uns" ist der Versuch, Gott als rare Begebenheit mit dem Alltag in Verbindung zu bringen. Dabei werden einige Satzteile aus der Schöpfungsgeschichte oder anderen so genannten Heiligen Schriften zu einem Gedicht ausgebaut. Daraus ergibt sich jeweils ein interessantes Gebilde, worin Kult und Alltäglichkeit verschmelzen.

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Umgekehrt springen! Vom sicheren Land aus auf ein sinkendes Schiff etwa! Für O.P. Zier ist dieser absurde Rettungsgedanke eine stets griffbereite Reißleine, um der Literatur ihre bodenlose Festigkeit zu beweisen.

Schon einmal (1988) hat er einen Gedichtband "Der rettende Sprung auf das sinkende Schiff?"genannt, jetzt dient dieses Gedicht als Aufhänger für jene seltsamen Wünsche, die im Diesseits gefasst werden und im Jenseits versickert sind in ihrer Erfüllung.

Buch-CoverWortgestöber! Da ist man als Leser sofort drin in einer heftig aufgerührten Landschaft, wie sie vielleicht Paul Flora durch die Winter schickt, oder man denkt an ein Kinderlied, wo es draußen heftig zugeht und drinnen in "Muaters Stübele" sitzt die Wärme.

In den Gedichten von Magdalena Kauz stürmt es von Anbeginn heftig, das erste Gedicht fetzt ohne Punkt über die blanke Seite,

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"Vorsicht vor dem Sinnesrausch!" (48) Die Geliebten warnen sich vor einander, aber es nützt nichts, im Gebirge setzen nicht nur die scharfen Witterungen jäh ein, auch die Gefühle kommen spitz und zart und ungebändigt.

In Regina Hilbers ?ich spreche bilder? geht es um den aufregenden Ausnahmezustand, worin die Sprache scheinbar versagt und in Bilder überquillt. Die Sätze werden zu JEPGs der Empfindung und treten als großes Ereignis auf.?

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Absichtslosigkeit, Morphing, Kriegsmetaphorik - im Nachwort hat Petra Ganglbauer penibel aufgelistet, nach welchen Regeln das Skelett des Buches aufgebaut ist, und das Fleisch des Textes muss man als Leser ohnehin selbst Seite für Seite vom Knochen nagen.

Absichtslosigkeit ist ja wohl der häufigste Grund für Leser und Schreiber, sich mit einem Stoff zu beschäftigen. Wohin treibt es jemanden, wenn er sich gehen lässt, wohin gelangt er, wenn er auf der Sprache dahinsegelt, zu welchen Schlüsseln kommt er, wenn er semantisch surft.

Buch-CoverVielleicht sind poetische Ratgeber die beste Ermunterung, sich auf eine neue Sicht der Dinge einzulassen. Mit ihrem Roman ?Der Liebhaberreflex? hat Kirstin Breitfellner jüngst etwas recht Angenehmes publiziert, nämlich die Gepflogenheiten von Liebhabern, deren Liebreiz und das aufgegeilt Ungustiöse von Balzritualen auf ironische Art vorzuführen.

Im neuen Gedichtband "das ohr klingt nur vom horchen" geht es vordergründig um den medizinischen Zustand der Sinnesorgane, die für den poetischen Akt benötigt werden. Es ist erstaunlich, dass es zu jedem menschlichen Organ einen poetischen Begriff gibt. So heißen die Gedichte griffig wie lexikalische Einträge: Druckstellen, Lebensadern, Luftwege, Aderhaut, Speiseröhre, Nervenbahn.