bernhard hüttenegger, auf dem grund des bodensIn alten Märchenbildern ist die Welt wie eine Sanduhr aus Sternen aufgebaut. Wer in die Tiefe eines Brunnens blickt, sieht darin die Sterne des Firmaments gespiegelt, wer in den Himmel schaut, wird in die Tiefe hinabgezogen wie in einen Brunnen.

Bernhard Hüttenegger verwendet dieses Bild für den Titel des vierten Bandes seiner ausklingenden Autobiographie. Längst hat er sich zum Schreiben heikler Angelegenheiten, und das eigene Leben ist eine solche, die Figur des Albin Kienberger zugelegt, der in diesem Roman in die Provinz Rovigo in Venetien reist.

juliane adler, brett voller nägelWenn dir beim Aufschlagen eines Buches alles fremd ist, lies es wie ein Lexikon!

Die chinesische Lyrik-Anthologie „Brett voller Nägel“ ist im ersten Anriss dermaßen fremd, dass nicht einmal der Tipp mit dem Lexikon weiterhilft. Aber das Herauslesen diverser Bausteine ergibt dann doch einen zweifachen Lesenutzen. Einmal erfährt man sehr viel über ein literarisches Feld, das für die meisten eine weiße Wüste im Hirn ist, und zum anderen läuft ständig die Frage mit, ja wie lesen wir eigentlich in Österreich eine Lyriksammlung?

ulf erdmann-ziegler, eine andere epocheStaatstragende Romane sollten wenigstens zehn Jahre lang warten, ehe sie eine Gegenwart historisch abgekühlte beschreiben. Alles, was zu nahe an den aktuellen Kalender herangeführt ist, klingt nach Wahlkampf, Propaganda oder Streitschrift.

Ulf Erdmann Zieglers Roman „Eine andere Epoche“ spielt daher klugerweise im Jahr 2011, als in Deutschland erstmals das Bewusstsein auftritt, dass es im Untergrund eine flächendeckende rechte Szene gibt. Der Plot ist rasch erzählt und in jeder digitalen Chronik leicht abzurufen und nachzulesen. Nach einem missglückten Banküberfall sprengen sich in Eisenach zwei Neonazis mit ihrem Wohnmobil in die Luft, mit der Spurensicherung nimmt man es nicht so genau, und erst als in Zwickau die geheime Zentrale des „Untergrunds“ abbrennt, wird das Ausmaß der Verschwörergruppe sichtbar.

peter paul wiplinger, aussichtenDer eine kommt aus dem Nebel zurück und verkündet, er habe die Aussichtswarte verfehlt und daher nichts gesehen, der andere nimmt vor dem Bildschirm des Internisten Platz und kriegt eine Vorschau auf seine Krankengeschichte, irgendwo ganz hinten sitzt der Tod.

Peter Paul Wiplinger hat für seine Gedichte den „finalen Erzählstandpunkt“ eingenommen. Unter der vorgeblich wertneutralen Perspektive „Aussichten“ drehen die Winde ständig, was eben noch Schönwetter heißt, erfährt eine jähe Verdunkelung. Wo eben noch Gewissheit am Bildschirm aufleuchtet, wird bei genauerem Hinsehen eine amorphe Gestalt sichtbar, die erst wieder ungewisse Prognosen auslöst.

friederike schwab, nora - ein tanzIn der Literatur schaffen es nur wenige Titel, dass schon bei ihrer Erwähnung sofort ein Stück Lebensprogramm aufpoppt. „Faust“, „Das Schloss“, „Verstörung“ lassen nicht nur einen Text in der Lese-Erinnerung hochschnellen, sie zeigen in einem einzigen Aufblitzen Helden, die um ihr Schicksal ringen. Aus feministischer Sicht sind solche Highlights etwa „Madame Bovary“, „Pippi Langstrumpf“ oder eben „Nora“.

Friederike Schwab erzählt mit ihrem Roman „Nora. Ein Tanz“ die Biographie einer Kostüm-Künstlerin, die Geschichte einer Tanzpremiere in einer Kleinstadt, und die Unmöglichkeit, den Kopf und den Körper ein Leben lang so geschickt zu verwenden, dass sie sich nicht in die Quere kommen.

ally klein, der walWarum sind manche Romane gegliedert und andere eine einzige Textwurst? – Beides zeigt das Ringen der Autoren um das Publikum. Manche versteigen sich dabei in Gegenden, wo es nichts mehr zu erklären, deuten oder gliedern gibt. Nicht so beim „Wal“, hier wird das Unbeschreibliche in ein überschaubares Erzählkonzept gegossen.

Ally Klein versucht ihren Roman um das Wesen der Kunst so offen wie möglich zu halten, gleichzeitig schlägt sie eine sanfte Lektüre-Struktur vor, die den ungeheuerlichen Stoff etwas übersichtlicher gestalten könnte. Wie bei einem Tafel-Dreiteiler wird ein Thema auf drei Flächen projiziert, die in einem schrägen Winkel zueinander stehen, sodass sich ein Gesamtbild aus mehreren Sehwinkeln ergibt.

helmuth schönauer, outlet„»Wenn du keine Shortstory zusammenbringst, stecken wir dich ins Altersheim!« Die Kinder sind gnadenlos, zumal sie gut ausgebildet sind. Sie haben Entertainment, Psychologie, Theologie und Politikwissenschaft studiert, lauter Fächer, die den Vater in die Verwahrung bringen können, wenn er nicht mehr richtig drauf ist auf seiner blassen Lebensspur.“ (S. 7)

Der Ich-Erzähler ist pensionierte Bibliothekar und von da her schon immer auf Du und Du mit Geschichten. Aber jetzt gerät er unter finalem Lebensdruck, muss er doch jeden Monat mit einer Kurzgeschichte unter Beweis stellen, dass er noch nicht die nötige Demenz für das Altersheim erreicht hat.

timo brandt, nicht nochmal legendenGedichte sind wie Pflanzen, die einen Nährboden brauchen, auch wenn sie mit Luftwurzeln arbeiten. Diese Nähr-Substanz kann die vorgespielte Erfahrung eines Ichs sein, eine didaktische Zusammenfassung eines Erkenntnisprozesses oder auch das Verwerten ausgestreuter Literaturpartikel.

Timo Brandt weist mit seinem Seufzer „Nicht nochmal Legenden“ darauf hin, dass er sich vor allem mit vorgelagertem Lyrikmaterial beschäftigt, wenn er daraus durch Zitat, Verformung oder Überhöhung neues Extrakt presst.

ned beauman, Warum der Wahnsinn einer Niederlage vorzuziehen istLässt sich das große Amerika besser würdigen, wenn man einen Hollywood-Film mit voller Dramaturgie im Dschungel dreht und dabei einen Maya-Tempel als Kulisse missbraucht, oder ist es gleich besser, diese Pyramide abzutragen und missbräuchlich in New York aufzustellen?

Was auf den ersten Blick wie ein Scheinproblem klingt, ist vielleicht auch eines. Denn in Wirklichkeit geht es darum, ob im amerikanischen System nicht jede Auseinandersetzung in Wahnsinn enden muss, weil niemand die Niederlage versteht.

jaron lanier, anbruch einer neuen zeit„Unser Gehirn ist nicht in Stein gemeißelt.“ (77) So ein Satz verändert nicht nur die gesamte Weltlage des Denkens, sondern weist darauf hin, dass es in der Kunst tatsächlich immer Überraschungen und Weiterentwicklungen gibt.

Jaron Lanier gilt als einer der Schöpfungs-Väter der sogenannten Virtuellen Realität, professionell VR genannt. Als markantestes Bild dient dabei eine virtuelle Brille, die den User von der Realität abschottet und in eine andere Welt führt. Ein markantes Beispiel für so eine Grenzüberschreitung soll ein Foto zeigen, worauf man Jaron Lanier mit einer Virtuellen Brille im Gesicht unter mehreren Servern liegen sieht, scheinbar frei schwebend und verzückt. Dieses Bild zeigt genau, was mit der VR los ist. Die, die drinnen sind, sind verzückt, die draußen stehen, halten die Schwebenden für verrückt. Es ist dies der ideale Zustand, den eine Kunst auslösen kann.