liviu rebreanu, der wald der gehenktenAufsehenerregende Romane sind oft für eine einzige Szene bekannt. Diese ist an und für sich überschaubar, breitet sich dann aber über ein ganzes Jahrhundert aus.

Liviu Rebreanus „Der Wald der Gehenkten“ aus dem Jahre 1922 versucht aufs erste einmal Atem zu holen und das Desaster des Weltkriegs in halbwegs greifbaren Bildern darzustellen. Weltberühmt ist der Roman inzwischen wegen der Hinrichtung im ersten Kapitel. Das Besondere dieser Aktion am Rande der Geographie und des Kriegsgeschehens ist die groteske Hilflosigkeit, mit der die Beteiligten die Sache hinter sich bringen wollen, inklusive des Delinquenten, der nur einen Wusch hat, dass diese vermurkste Hinrichtung möglichst bald vorbei ein möge. Bei dieser speziellen Hinrichtung handelt es sich um eine österreichische Amtsaktion unter Kriegsbedingungen. Das ist so das Schlimmste, was man sich als Soldat, Beamter, Mensch oder Österreicher wünschen kann.

elisabeth lexer, maiandachtMaiandacht ist ein religiöses Zeremoniell, das in der öffentlichen Lesart gerade noch als Volksbrauch oder Meditationsübung durchgeht, in entlegenen Landesteilen aber vollends ins Archaisch-Mythische hineingreift. So ist der echte Maiandachtskult für den Tourismus noch immer tabu, wer ihn erkunden will, muss entweder Betroffener oder Forensiker sein.

Elisabeth Lexer und Robert Boulanger haben die Form des Kriminalromans gewählt, weil man sich dadurch landläufig etwas vorstellen kann und weil erzähltechnisch gesehen so die diversen Geheimnisse geknackt werden können, indem einfach ein Chefinspektor über die Sache drüberscannt. In der Tiefenstruktur ist der Roman durchaus ein Stück Ethnographie, Psychologie und Dialektologie. In einem Glossar werden nämliche die einzelnen Fügungen nicht nur in eine Allgemeinsprache transferiert, ihre Auswahl und ihr semantisches Selbstbewusstsein deuten darauf hin, dass diese Begriffe auch den Sinn des Lebens in einem gewissen Landstrich ausmachen. Diese regionale Feldforschung ist gewissermaßen die Antwort auf die Globalisierung, der Kosmos ist nämlich ein Wallfahrtsort mit aufgesetztem Wellnessbereich.

wolf haas, junger mannDie Literatur von Wolf Haas ist eigentlich eine Tournee, bei der als Benefit für die Leser die Romane verteilt werden. Wenn jemand geh-schwach ist, kann er sich die Tournee auch ins Haus schicken lassen, eingehüllt in den Roman kommt ein Lesezeichen zum Vorschein, auf dem die wichtigsten Lesungen des Wolf Haas aufgezählt sind.

Erfurt, Berlin, Hamburg, Wien: Das Lesezeichen erinnert an einen ICE-Plan, an dessen Umsteige-Knoten zu gewissen Terminen der Wolf Haas sitzt und vorliest. Bei ihm ist ausnahmsweise das Vorlesen nicht falsch, zumal der „Schreibstil“ oft sehr österreichisch mündlich ist. Und wenn man sich den Umschlag und alles kurz wegdenkt, sitzt man vielleicht mitten in einem Horvath-Stück. Alles könnte eine politische Anspielung sein, gleichzeitig ist alles ein rosarotes Trallala, das in tiefroten Ernst übergehen kann.

hallie rubenhold, the five„Meine Absicht beim Schreiben dieses Buches war es nicht, den Mörder zu jagen und zu benennen. Mein Wunsch ist es stattdessen, den Wegen der fünf Frauen nachzuspüren, ihre Erfahrungen im Kontext ihrer Zeit aufzuzeigen und ihre Leben durch Düsternis und Licht gleichermaßen zu verfolgen.“ (S. 30)

Heute noch steht der Name Jack the Ripper als Synonym eines bestialischen Massenmörders, der die Gesellschaft seine Zeit in Atem hielt und Furcht und Schrecken verbreitet hat. Während dieser in die Geschichte eingegangen ist, sind seine Opfer – fünf Frauen – in Vergessenheit geraten. Ihnen und ihren persönlichen und sozialen Lebensumständen ist dieses Buch gewidmet.

valerian, mourir dantzigSoll ich heute überhaupt was erleben? - Diese Frage der Spätromantik gilt heute als schwer überholt, besteht der Sinn des Lebens doch darin, möglichst viel zu erleben. Im Alter freilich kommt immer öfter die Frage auf, was tue ich mit dem Erlebten?

Für H. W. Valerian stellt eine Busreise durch das gegenwärtige Polen so ein Erlebnis dar, das irgendwie unbeabsichtigt aufgetaucht ist wie so viele Aktivitäten, die jemand im Ruhestand vollbringt. Nun ist diese Polenreise also einmal geschehen und für den belesenen und historisch interessierten Autor geht es darum, damit etwas anzufangen. In erster Linie heißt das für seine Generation: Aufschreiben.

peter steiner, das schweigen des meeresDie Konstellation fiktionaler Figuren kann man als Leser auswendig lernen oder vergessen, beides hat auf den Fortgang eines Romans keine Auswirkung. Wir kennen es ja von den russischen Realisten, wo man entweder ein Lexikon skurriler Figuren neben dem Buch liegen hat oder einfach alle Figuren mit einem „ow“ hinten dran als Helden deutet.

Peter Steiner rückt im Roman „Das Schweigen der Meere“ einen achtzigjährigen Ich-Erzähler in den Mittelpunkt, der in einem längeren Vorspiel scheinbar sinnlos Konstellationen und Figuren kundtut. Teilweise stellt sich der Erzähler selbst die Figuren auf, teils räsoniert er, teils spekuliert er. Dieses Vorspiel ist das Ausbrüten längst vergangener Ereignisse, die niemanden mehr interessieren, weil die Zeitgenossen schon alle gestorben sind und die Nachfahren andere Interessen haben.

gabriele petricek, innsbruckZu einem funktionierenden Programm gehört auch immer eine pragmatische Einschätzung, was möglich ist und was nicht. Dabei kann es sich um ein Ausbildungsprogramm, Lebensprogramm oder Sommerprogramm handeln, wichtig ist stets die Frage, was geht sich noch aus und was nicht.

Gabriele Petricek schickt ihre Heldin durch diverse Waschstraßen der Erzähltheorie, installiert sie wie eine Avatarin in verschiedenen Kulturkreisen und entwickelt sie nach dem Motto künstlicher Intelligenz im Literaturbetrieb. Der Kompositionsvorgang wird „Verfolgungsrituale“ genannt, dabei verfolgen einander die Figuren als beiläufige Verwandte oder Liebespartner, andererseits verfolgen die Figuren einfach diverse Ziele, die sie während der Verfolgung oft aus dem Auge verlieren.

gertraud klemm, hippocampusJeder Mensch trägt ein Seepferdchen im Hirn spazieren, im Gehirn liegt nämlich der sogenannte Hippocampus. In diesem Denklappen in Gestalt eines Seepferdchens werden Daten verknüpft und zwischen Kurz- und Langzeitgedächtnis hin und her geschaltet. Wer den Hippocampus klug zu verwalten vermag, kann mit Denkgewinn Zeitloses als aktuelle Gegenwart ausgeben und umgekehrt.

Gertraud Klemm versteckt in ihrem grotesken Roman Hippocampus allerhand Literaturtheorien und kleidet sie mit vulgärem Schamott aus. Im Roman rasen Held und Heldin physisch durch den Kunstbetrieb und markieren an vorgeblich wichtigen Schnittstellen zwischen Kunst und Kritik wie wild gewordene Hunde, indem sie Installationen aus Fäkalien und Imitationen von Genitalien hinterlegen.

elias schneitter, ein gutes pferd zieht noch einmalDie Erinnerung ist ein Pferd, das morgens auf den Acker geht und abends als Salami nach Hause kommt. Aber auch der Acker erlebt sein Asphalt-blaues Wunder und verwandelt sich innerhalb von Stunden in eine Schnellstraße.

Elias Schneitter ist der Spezialist für außerordentliche Helden vom Rand der Gesellschaft. Wenn seine Sprache oft grotesk unterkühlt wird, so huldigt er damit dem puren Realismus. In seinen Erzählungen ist nichts aufgeputzt oder abgeschliffen, die Sätze liegen unbehauen herum wie jenes seltene Brachland, auf dem die Figuren ihre Wunschträume mit morschem Holz und Bruchziegel errichten.

markus lindner, nachtschneeDer Klimawandel bedingt, dass die jüngeren Generationen immer öfter Sachen nachschlagen müssen, die für frühere Generationen selbstverständlich gewesen sind. So stellt das schöne Bild vom Nachtschnee die wenigsten von uns vor Imaginationsprobleme, seit der Schnee aber aus den Kanonen kommt, die nächtens surren, muss man die neue Bedeutung von Nachtschnee vielleicht schon googeln. Und den Begriff Steganographie muss man sich ohnehin erarbeiten, er bedeutet so viel wie geheime Nachricht auf einem unerwarteten Datenträger.

Markus Lindner nimmt beispielsweise diesen hybriden Begriff des Nachtschnees als Datenträger auf, um ihm allerhand Informationen einzuspeisen. Vom Layout her gesehen sind die ersten knapp sechzig Gedichte in konventioneller Form als Tageslicht-Texte ausgeführt, das letzte Drittel erstrahlt als Mond-Textur, auf schwarzem Untergrund sind in weißer Schrift die Informationen herausgestochen, typische Nacht-Gedichte eben.