Sprachminiaturen sind treffsichere abgerundete Fügungen, die sich wie Gebilde mit Widerhaken auf dem Filz des Alltags festsetzen.

Rudolf Kraus setzt mit dieser feinen additiven Methode, wo überraschende Wendungen wie Magnetsteine auf die Fläche gesetzt werden, durchaus großen Themen zu wie dem Tod. Nicht nur das nicht Voraussehbare, „wie wird denn wohl mein Tod ausschauen?“, spielt eine Rolle, sondern manche Ereignisse spitzen sich schon zu Lebzeiten so dramatisch zu, dass ihnen der Tod den Deckel drauf setzen muss. So kümmern sich die Sprachminiaturen nicht nur um die Ars moriendi, die Kunst des Sterbens, sondern mindestens so heftig um die Ars vivendi, die Kunst des Lebens.

Tatsächlich sind manche Wochentage und Tageszeiten wie geschaffen dafür, helle Gedanken auszufassen, ein Sonntagmorgen verströmt geradezu verdoppelt das leise Sinnieren durch den eigenen Erinnerungsraum.

Christine Trüb stellt in ihrer Erzählung Sonntagmorgen eine Sie in die Küche und lässt sie sofort im Stil des roman nouveau darin untergehen. Dutzende kleine Partikel fesseln die Protagonistin, die Wand, die darin installierten Bilder, eine Lehrtafel aus einem Schulkabinett und schließlich diverse Dosen, Lebensmittel und Verzierungen, die alle den Befehl des Systems hinausschreien:

Ein Fernsehabend erlöst den anderen. - Wenn Sprichwort-artige klare Analysen im Spiel sind, ist Georg Paulmichl nicht weit. Er schafft es mit seinen beinahe täglichen Schreibüberlegungen, dem jeweiligen Tag und sich selbst den letzten Schliff zu geben.

Seit mehr als drei Jahrzehnten schreibt Georg Paulmichl mehr oder weniger freiwillig unter Anleitung seiner Betreuer seinen Tagesstoff, der zwischen Therapie, Heimatkunde und Jahreskreis angesiedelt ist. Die Miniaturen halten sich oft an ein ausgegebenes Thema und entlarven diverse Kommunikations-Rituale, indem die Sachverhalte oft allzu wörtlich, seltsam verschränkt oder mit Querverweisen aus völlig fernen Gebieten abgesichert werden.

Dem Roman „Ein guter Tag zum Fliegen“ ist ein Lesezeichen beigelegt mit der Zauberformel: „Ein guter Tag zum Lesen.“ - Die gute Witterung zum Abhauen aus der Schwerkraft lässt sich vielleicht mit Lesen bewerkstelligen.

Mathias Klammer faltet seinen Roman über einen tief sinnierenden Außenseiter in zwei Flächen auf. Im ersten Abschnitt, ein guter Tag zum Fliegen genannt, wühlt sich ein Erinnerungs-Ich durch die Kindheit und andere familiäre Krisen-Situationen und setzt sich intensiv mit der Todeskrankheit des Bruders auseinander.

Die Bilder, die wir Leser uns von einem Land machen, gehen oft auf ein einziges Buch oder die Schreibweise einer einzigen Autorin zurück. Dabei entpuppt sich diese reduzierte Sichtweise als wahr und gerecht zugleich.

Im Falle von Norwegen denkt man unwillkürlich an Tor Ulven, der mit seinen ins Unterbewusstsein einschießenden Prosazellen etwas evoziert, was wir mit Norwegen, Blockhütte, Psyche und Ibsen in Verbindung bringen.

Wie sich die sogenannte Freiheit in einer straff geführten Gesellschaft anfühlt, kann am besten jemand erklären, der gerade frisch aus dem Gefängnis entlassen worden ist.

E. W. Bichler schickt seinen Helden Kluibenschädel, der in mehreren existentiellen Abenteuern das Leben gemeistert hat, in eine durchaus an den Nerven zehrende Endzeit und schließlich in den Tod.

Wundersame Geschichten, die in ihrem Verlaufe die Konsistenz der Glaubwürdigkeit wechseln, tun gut daran, handfest in den Händen der Leserschaft zu liegen und nicht als Fließtext aus der Cloud zu tröpfeln. Das ist auch der Grund, warum Martin Kolozs als Leiter des Kyrene Verlags dieses romantische Hauptwerk in eine bibliophile Ausstattung gegossen hat, gilt doch der romantische Adelbert von Chamisso als geheimer Heiliger für Phantasie und Standfestigkeit in einer bodenlosen Umgebung.

Adelbert von Chamisso ist mit seiner Schattengeschichte vom Peter Schlemihl zu einer Ikone geworden, geht es doch ähnlich wie beim Faust darum, zu erkennen, wer man ist.

Gute Romane können sich einen Luxus leisten, der im Alltagsleben tabu ist: Die Wahrheit augenzwinkernd auszusprechen. „Geld ist genauso wichtig wie alles andere auf der Welt!“ (43) Wer geht als Leser nicht vor so einem Satz sofort bewundernd in die Knie.

Erika und Nora Wimmer haben in ihren Hypo-Roman schräge Figuren und geradlinige Ansagen gepackt. Bei einem Hypo-Roman geht es bekanntlich darum zu dechiffrieren, was unter den Floskeln des Zeitgeists liegt. Während also an der Oberfläche die Figuren ihre oft belanglosen Furchen ziehen, wuchert im Untergrund eine Gegenwelt heran.

Inspektor Matteo ist einer der seltenen Ermittler im Krimi-Genre, die gerne ihre Arbeit tun, mit der Bevölkerung in positiver Verbindung stehen und den Grant zuerst an sich selber auslassen, ehe sie ihn anderen überkübeln. So gesehen freut man sich bei Matteo auf jeden Fall, denn auch wenn es um Mord und Totschlag geht, geht es immer auch um ein zivilisiertes Zusammenleben in der kleinen Gebirgsstadt Landstein.

Dietmar Wachter schickt seinen Aufdecker zuerst in den Alltag, wo gerade ein Bergbauer und Sonderling irgendwie harmonisch gestorben ist, „grabbereit“ oder „grabreif“, wie es die Tochter Mateos ausdrückt. Dieses friedliche Sterben kann freilich nicht darüber hinweg täuschen, dass oft hinter den unauffälligsten Todesfällen die heimtückischsten Mordanschläge stecken.

Ein Leitsystem, das den Verleiteten nicht klar ist, führt diese in die Irre.
Anne Marie Pircher setzt in ihren neun Erzählungen über Um- und Ausstiegssituationen die Protagonisten jeweils einer besonderen Umgebung aus, worin die Koordinaten noch nicht vermessen sind, sodass die Situation samt Held und Umfeld in einen Schwebezustand gerät.

In der Titelerzählung „Zu den Linien“ wird ein erzählendes Ich in einer fremden Stadt von permanenten Hinweisen, Leitsystemen und Umsteigemöglichkeiten verleitet. Eine Frau konzentriert sich auf einen Blinden, der U-Bahn fährt. Sie versucht das Sichtbare auszublenden und sich auf Geräusche und Gerüche zu konzentrieren. An den Stationen werden verschiedene Linien ausgerufen, die als bloße Ziffern oder Buchstaben erscheinen.