ludwig roman fleischer, verlorenVerloren stellt man sich am besten als eine Erzählschüssel vor, in der wie bei einer Tombola Geschichten liegen, die „Gedanken-verloren“ gezogen werden können. Jede einzelne Erzählung hat einen unvergleichlichen Plot, der sich rasch ins Leseregister des Users einprägt. Innerlich verbunden sind die Geschichten durch die Formel: Alle Helden haben irgendwie oder irgendwas verloren.

Ludwig Roman Fleischer hat eine einzigartige Publikationsmethode entwickelt, um der Unsitte auszuweichen, das Lebenswerk als vorgelassenen Papierhaufen in einem Institutskeller zu vergraben. Er stellt aus seinem umfangreichen Erzählwerk sogenannte Jahresbände zusammen, die ein besonders drängendes Problem behandeln. Das aktuelle Thema lautet: Wie geht man mit Niederlagen und Verlusten um.

hannes vyoral, europa - eine reiseEine Reise durch Europa ist mit einem Brettspiel vergleichbar. Auf dem Kontinent als geographischer Unterlage zieht das lyrische Ich mit seinem Körper Spuren der Tagesverfassung. Mit der Zeit ergibt sich ein plastisches Stimmungsbild, das sich als geographisches, politisches und subjektiv-lyrisches „Kunstwerk“ lesen lässt.

Hannes Vyoral hat in den letzten Jahren ausgiebige Reisen durch Europa unternommen, die ihn im Westen bis weit in den Atlantik hinaus getrieben haben, im Osten nach Moskau oder in die Ukraine. Vieles geschah zu einer Zeit, als das noch möglich war. Überhaupt sind Reiseberichte der Gegenwart gekennzeichnet vom Gefühl des „letzten Blicks“, denn entweder versinken die geschauten Inseln im Meer, zerfallen die bestiegenen Gipfel im Klimawandel, oder versinken die nostalgischen Reminiszenzen an die Habsburger-Monarchie endgültig im kriegerischen Schutt.

rudolf habringer, diese paar minutenWährend man bei einem Roman davon ausgeht, dass er zum Augenblick seiner Vollendung mit Ort und Zeit als Quelldaten fixiert wird, zeigen sich Erzählbände oft als Bunter Text-Kessel, der an mannigfaltigen Orten aufgekocht und über Jahrzehnte eingedickt worden ist.

Rudolf Habringer nennt seine Titel gebende Erzählung „diese paar Minuten“. Dabei geht es um einen jähen Zeitanschnitt, von dem erst hinterher klar ist, dass er einen wesentlichen Einschnitt in das Leben verursacht hat. Das Thema ist schier unendlich: Wie verlaufen Schicksalslinien in der Fläche der Gesellschaft? Wer trifft wann auf wen und verursacht dabei ein Unglück? Wie lange muss pure Zeit unter Druck stehen, ehe sie sich entlädt und Helden zum Implodieren bringt?

dietmar füssel, der verklärteIn Denksphären mit mannigfaltigen Spielregeln sind die verwendeten Begriffe oft labil wie Quanten, sie können zu Beginn eines Satzes etwas anderes bedeuten als an dessen Ende. Vor allem Theologie und Literatur werden diesem Metier zugerechnet, dessen Protagonisten oft als Schwurbler auftreten. Die Sprache hält für diese Geschichten exquisite Begriffe parat, die wie Leitpflöcke den Diskurs durch den Nebel führen. – „Der Verklärte“ ist so ein Begriff.

Dietmar Füssel, längst ein „Marken-Autor“ für groteske Geschichten, lässt den erfolglosen Schriftsteller Didi F. als Prototyp für eine Heilsgeschichte sterben. Er wird in provinzieller Manier von einem Lokalpolitiker überfahren, der Fahrerflucht begeht. Erbärmlicher kann man als Dichter wirklich nicht sterben.

gunter falk, vom verschwinden des autorsIn einem funktionalen Lehrbild werden literarische Aufsätze manchmal als Bodenmarkierungen gelesen, die den Verkehrsstrom der Literatur regeln und entflechten sollen. Wie bei echten Bodenmarkierungen verlieren die literarischen oft ihren Sinn, wenn die entsprechende Gegenwart vorbei ist. Aufsätze aus verflossenen Zeiten gleichen dann grobkörnigen Linien auf Asphaltfragmenten, die schon längst von Pionierpflanzen umkreist sind.

Ein solches nostalgisches Bild sollte man sich vielleicht vor Augen halten, wenn man die Essays, Studien, Kommentare und Kritiken im Sammelband „Vom Verschwinden des Autors“ liest. Der Herausgeber Günter Eichberger hat bislang verstreute Aufsätze pfleglich zusammengefasst und mit einem einfühlsamen Nachwort hinterlegt.

peter simon altmann, die nächte von bangkokDas sogenannte erotische Paradoxon zeigt sich in der Literatur, wenn der Schauplatz immer heißer und die Helden immer cooler werden.

Peter Simon Altmann wendet sich in seinen sieben Erzählungen diesem Paradoxon zu, in ausgeklügelten Erzählverfahren werden hitzige Schauplätze aufgesucht, um darin die Helden als kühl agierende Denker zu installieren. „Die Nächte von Bangkok“ erfüllen das spontane Versprechen, Geheimnisse der Eros-Stadt bei Nacht zu lüften. Zusätzlich entsteht für die Leser eine vollends philosophische Befriedigung, die wenig mit hormonellen Zuständen zu tun hat.

paul divjak, ich liebe österreichWährend in den meisten Ländern es für den Patriotismus genügt, wenn man die jeweilige Nationalhymne beherrscht, muss man in Österreich mangels Selbstbewusstsein des Landes noch ein paar pfundige Sätze aufsagen, die von den Vorrednern ausgesprochen massenhaft herumliegen. Zudem ist das Land ein Paradies für verschmitzt-denkende Schriftstellerinnen, von denen wegen der vielen Leseauftritte jede einen guten Sager auf Lager hat.

Paul Divjak stellt mit seiner patriotischen Sätze-Fabrik die neuesten Sprüche über Österreich zur Diskussion. Sein Projekt ist ein Meilenstein des verbalen Patriotismus, werden doch die Sager mit künstlicher Intelligenz hergestellt.

heimo mürzl, zum fressen gernUnter dem Emblem eines gelben Kürbisses, der von der Ferne der berühmten Yellow Submarine der Beatles ähnelt, erscheinen in der Steiermark regelmäßig Überlegungen, wie Popkultur, Alltag und Kürbis in Einklang zu bringen seien.

„Zum Fressen gern“ ist die aktuelle Anthologie, die sich naturgemäß mit Tieren beschäftigt, freilich unter dem künstlerisch-grotesken Aspekt von Songs und Stimmungen, die einem beim Füttern, Liebkosen oder Aussetzen von Haustieren durch den Kopf gehen.

bernhard hüttenegger, eis sturmIm Idealfall der Intimität trifft die Einsamkeit des Lesers mit jener des Autors zusammen. – „Ein Eissturm ist der Atem des Todes.“ (163)

Bernhard Hüttenegger ist auf Abschiedstour, wie man bei darstellenden Künstlern sagen würde, wenn sie sich noch einmal aufraffen, um die letzten Dinge vor Publikum zu rezitieren. Für diese vorletzten und letzten Dinge bietet sich die Form des „Vademecums“ an, womit ein kleines Heft gemeint ist, das man mit sich herumträgt, um die wichtigsten Handgriffe für das Leben nachzulesen, wenn man kurz einmal bei der Sinnsuche ansteht.

irena wondratsch, kein flugzeug am himmelDem Tagebuch ist es egal, was in der Welt draußen passiert, es schreibt sich zwischen den Buchdeckeln von selbst voll.

Die Momentaufnahmen von Irene Wondratsch erstrecken sich wie eine riesige Pinnwand über den Zeitraum von April ‘20 bis Februar ‘22 unter dem seltsam leerfegenden Titel: „Kein Flugzeug am Himmel“. Ein leerer Himmel bedeutet Ausnahmezustand, die Leuchtkörper sind aus dem Firmament gefallen, die Witterung ist mehrdeutig, die Blickwinkel Fenster und Mansardenfenster ergeben nur wenig Plastizität für das Nichts.