Buch-CoverAuf dem Weg zum Klassiker muss ein verstorbener Dichter ein, zwei Editionen des Gesamtwerks auf die Beine bringen.

Jörg Fauser hat ideale Voraussetzungen zu einem Klassiker, allein sein Tod, für den er sich pünktlich zum 43. Geburtstag auf der Autobahn überfahren lässt, lässt Germanisten vor Schicksalslust quiecken. Und auch sonst ist die Biographie prall voll von Begriffen wie Studienabbrecher, Flughafenarbeiter, Nachtwächter, Aushilfsangestellter, Nadel, Drogen, Istanbul.

Buch-CoverKann ein unspektakulärer Mensch eine spektakuläre Biographie haben? Wolfgang Raffeiner zeigt mit seinen Mitschriften zum eigenen Leben, dass das so genannte einfache Leben durchaus aufregend sein kann.

Als Chef einer Zimmerei hat er ein Leben lang nicht nur die schwersten Stämme behauen und zersägt, sondern daneben auch immer sein Leben in wohl proportionierte Scheiter zerhackt und zu einer Tagebuchartigen Kulturmitschrift aufgeschlichtet.

Buch-CoverMinimales Leben, Leben auf Sparflamme – aus der Welt der Murmeltiere kennen wir diesen zurückgefahrenen Zustand. Aber nicht nur manche Tiere fahren über den Winter das Leben zurück, auch mitten in der pulsierenden Zivilisation gibt es immer wieder Menschen, die ihr Dasein auf ein Minimum einschränken.

In Renate Scrinzis Erzählung geht es um drei Personen, die für sich und untereinander das Leben eingefroren haben. Die 71-jährige Luise ordnet ihr Leben, quartiert sich noch in einem guten Hotel ein und geht in den Wald um zu sterben. Das Erfrieren mit vollen Sinnen erinnert an diese vom Dasein gebückte Szenerie an der Baumgrenze, wie sie der frühe Thomas Bernhard bearbeitet hat. Freilich hat Luise noch ein Handy dabei, aber es ist ausgeschaltet und so kann die Heldin erst zu spät und für die Erzählung zur rechten Zeit gefunden werden.

Buch-CoverDas ist die Eigenschaft guter Erzählungen: Man liest sie zuerst scheinbar nebenbei, und plötzlich hat man alles rund herum vergessen und es sind nur noch die Erzählungen da. Christoph Pichler hat sechzehn solche Erzählungen mit Zeitverzögerung zusammengestellt unter dem edel heruntergespielten Aufreger „Onkel Norberts denkwürdiger Nachmittag“.

Allein wenn man die vier Wörter des Titels, die am Cover wie ein Gedicht unter einander gesetzt sind, für sich nimmt, tut sich schon das Programm der Erzählungen auf. Onkel = Familienbande, Norbert = vertrautes Ansprache unter Insidern, denkwürdig = so aufregend, dass man einen Gedanken daran verschwenden kann, Nachmittag = konkret zeitloser Alltag.

Buch-CoverVielleicht sollte man diesen Text wie Jazz lesen. In einem beiläufigen Hinweis gibt Anita Pichler eine Anregung, wie man sich als Leser dieser beinahe handlungslosen Erzählung nähern könnte.

Tatsächlich passiert äußerlich nicht allzu viel, aber der Brei des Lebens fließt heftig zäh über die abgründigen Absätze. Die Erzählerin hat den Schlüssel zu ihrer Wohnung verlegt, durchs Schlüsselloch sieht sie die Dinge in ihrer Wohnung verstellt und entrückt. Beruflich scheint sie mit Fragebögen unterwegs zu sein, immerhin sucht sie die seltsamsten Menschen auf, um ihnen mehr oder weniger rabiate Fragen zu stellen.

Buch-CoverNot, nötig, genötigt. - Irgendwo in diesem semantischen Umfeld spielt die Erzählung Simone Schönetts. Eine Frau, völlig unauffällig nach außen hin, übernimmt erotische Aushilfsdienste, um die eigene finanzielle Unterzuckerung und die sexuelle Not der Männer zu befriedigen. Mal sehen, heißt ihre Devise, die Kontakte werden über den Chat im Internet angebahnt.

Dann tauchen sie realiter auf, diese Phantomtiere aus dem sexuellen Netz. Wolf hat ziemlich ausgefallene Wünsche der Befriedigung, Zähmung und Erniedrigung, sein Samen liegt noch wochenlang im Magen, irgendwann gehen selbst die sexuellen Abzählreime aus dem Leim.

Buch-CoverWenn man sich nach langer Wanderung die vollen Blasen an den wunden Füssen aufsticht, verschaffen diese Nadelstiche große Erleichterung. Ähnlich geht Klaus Merz mit seinen Miniaturen vor. Seine Geschichten sind meist vom Leben wund getretene Blasen, die er mit Erzählverve und Pfiffigkeit zum Platzen bringt.

So wird ein notgelandeter US-Pilot nach Jahrzehnten frenetisch gefeiert, als er in das Schweizer Dorf seiner Notlandung zurückkehrt. Alles wird gut und feierlich, wenn die Zeit lange genug darüber geblasen hat. Aus dem Schrecken des Krieges ist ein patinöses Abenteuer geworden, das sich gut in Bronze gießen und für die Nachwelt konservieren lässt.

Buch-CoverManche Buchtitel summen wie eine Kaufhaus-Melodie durchs Ohr des Lesers, Himmel über Berlin, Himmel über Meran, es bahnt sich etwas Schönes an.

Tatsächlich hat Joseph Zoderer in seinem Erzählband nichts Schöneres vor, als seine individuellen Geschichtserlebnisse aufgeklart und abgeklärt aufzuschreiben. Zu Beginn wird gleich jenes Ungemach aus der Optionszeit erzählt, das letztlich die ganze Familie aus der Bahn geworfen hat. "Wir gingen" ist bereits als eigenständiger Erzählband erschienen.

Buch-CoverEs gibt bekanntlich nichts Witzigeres als ein Familienalbum. Die Angehörigen sind meist in verlogenen oder überdimensionierten Posen aufgestellt, und während man als Mitverwandter vorne devot an der Fassade ihrer Gesichter hängen bleibt, erzählt man sich hintenrum die schrägsten Geschichten.

Der gelbe Onkel leidet, wie es sich für einen echten Onkel gehört, an einem schweren Leberschaden und ist ganz gelb im Gesicht. In Andrea Grills Familienalbum nimmt er sicher einen Spitzenplatz an Extravaganzen ein, zumal er noch auf das Wort ?beige? abfährt, offensichtlich ist das die Eigenbeschreibung für sein gelbes Gesicht.

"Dazwischen / auf der Fahrt ins Dorf / kein Wort." (100) Siegfried Nitz geht in seinem Fabriks-Dorf-Roman jenen Fugen nach, die zwischen den Erzählplatten liegen, er schaut gewissermaßen nach, was in den Klusen der glatten Verfliesung verborgen ist.

Zu diesem Zweck wählt er die Erzählmethode eines kollektiven Gesprächszettelkastens. Eine Stimme erzählt etwas, eine andere fügt eingerückt etwas hinzu, dann gibt es wieder Material aus einer Chronik. Der Roman setzt sich letzten Endes aus 39 Vitrinen zusammen, in denen Fußnoten zu verloren gegangen Schaustücken ausgestellt sind.