Norbert Gstrein, Die Winter im Süden

Buch-CoverBei Revolutionären und sonstigen politischen Vorpresch-Aktivisten ist die schlimmste Zeit der Winter. Als "Überwintern der Revolutionäre" wird süffisant jener Zustand bezeichnet, in dem die Akteure auf sich selbst gestellt ein unscheinbares Leben führen müssen.

Norbert Gstrein schickt seine Figuren in den Süden, denn die Winter im Süden sind schrecklich (160) Einmal steigt Marija, eine Frau aus Wien, aus ihrer Ehe aus und überwintert seelisch in Zagreb, der Stadt ihrer Kindheit. Zum anderen ist ein alter National-Haudegen nach dem Weltkrieg nach Argentinien abgehauen und überwintert politisch auf der südlichen Halbkugel.

Beiden Figuren wird jeweils ein Adlatus beigegeben, einmal ist es der Ehemann, der probehalber gegen einen Liebhaber im Winterquartier eingetauscht wird, zum anderen ist es ein ehemaliger Österreichischer Polizist, der dem untergetauchten Helden in Argentinien zur Seite steht.

Wie in einem Kolportagen-Roman werden diese beiden Schicksalsgruppen nun auf einander zugeführt, bis klar ist, der eine Held ist der Vater der anderen Heldin. Dabei wird kein Klischee ausgelassen, aber nicht etwa, um den Leser nicht zu enttäuschen, sondern weil Klischees sich am besten zertrümmern lassen, indem sie verlässlich an der richtigen Stelle vorgeführt werden.

In Argentinien suchen Touristen immer wieder untergetauchte Nazis, wie sie an anderen Orten vielleicht Zeugnisse einer untergegangenen Kultur suchen. In Jugoslawien kann stündlich ein Krieg ausbrechen, aus dem sich nur schwer entfliehen lässt. Das sind zwei der gängigsten Bilder, die scheinbar zeitlos über den Atlas der Vorurteile gespannt sind.

Was gibt es letztlich Berührenderes, als wenn ein Vater seine Tochter sucht und diese plötzlich erfährt, dass ihr tot geglaubter Vater am Leben ist. In tausenden Talk-Shows auf allen Kanälen ist dieser Stoff das Highlight jeder Sende-Saison.

In Norbert Gstrein werden diese dramaturgisch hochgekitzelten Elemente jeweils kurz vor dem Höhepunkt entschlafft. Routiniert und lieblos, wie gleich zu Beginn Marija ihrem Ehemann eine sexuelle Entlastung verschafft, werden die Figuren kurz vor ihrem entscheidenden Zusammentreffen weich gespült und das Besondere wird aus ihren Charakteren gebügelt.

Man kann alles erzählen, ... Leben ist etwas anderes. (283)

Norbert Gstrein, der Meister der sich selbst auflösenden Figuren, lässt vor allem die Hauptfigur völlig nachdenklich zurück, als ob sie Leserin ihres eigenen Buches wäre. Es ist nämlich nicht so leicht, ein Leben zuzuklappen, wie man ein Buch zuklappt. - Ein feiner, tiefer, kitschiger Interruptus zieht sich durch den Roman.

Norbert Gstrein: Die Winter im Süden. Roman.
München: Hanser 2008. 283 Seiten. EUR 19,90. ISBN 978-3-446-23048-4.

 

Weiterführende Links:
Wikipedia: Norbert Gstrein
Hanser-Verlag: Norbert Gstrein, Die Winter im Süden

 

Helmuth Schönauer, 10-09-2008

Bibliographie

AutorIn

Norbert Gstrein

Buchtitel

Die Winter im Süden

Erscheinungsort

München

Erscheinungsjahr

2008

Verlag

Hanser

Seitenzahl

283

Preis in EUR

19,90

ISBN

978-3-446-23048-4

Kurzbiographie AutorIn

Norbert Gstrein, geb. 1961 in Mils / Imst, lebt in Hamburg.