Mirjam Pressler, Nathan und seine Kinder

Buch-Cover

Eine Geschichte, gut erzählt, zieht einen immer wieder in ihren Bann, auch wenn man sie bereits zu kennen glaubt.

Mirjam Pressler hat sich zur Aufgabe gesetzt das Theaterstück der Aufklärung Lessings "Nathan der Weise" für Jugendliche zu erzählen. Dabei geht sie über das Stück hinaus, und erweckt gekonnt das Jerusalem zur Zeit des 3. Kreuzzuges wieder zum Leben.

Im Titel Nathan und seine Kinder kommt die Konstellation der Romanfiguren bereits programmatisch zum Ausdruck. Im Zentrum der Geschichte steht der jüdische Kaufmann Nathan, der auch der Weise genannt wird. Den Haushalt und Freundeskreis Nathans lässt Mirjam Pressler als Mikrokosmos der verschiedensten Religionen und Kulturen erscheinen. Alle Mitglieder des Hauses stehen in einer ganz persönlichen und engen Beziehung zu Nathan, der allen Heimat und Identität bedeutet.

Torso des Romans bleibt die Geschichte von Lessings Nathan der Weise, die Rettung von Nathans Tochter Recha durch einen Tempelritter, der zuvor von Sultan Saladin begnadigt worden war. Saladin steckt in finanziellen Schwierigkeiten und über einen Freund gerät Nathan in das gefährliche Blickfeld der großen Politik, der er sich durch seine Weisheit und Herzlichkeit scheinbar entziehen kann.

Heimat und Harmonie geraten ins Wanken, als die einzelnen Protagonisten im Wechselspiel der Gefühle um Liebe, Loyalität und religiöse Identität zunehmend den Boden unter den Füßen zu verlieren beginnen.

... sie habe vergessen, dass die Zunge eines Menschen gefährlicher sein könne als ein scharfes Messer (205)

Ruhender Pol, um den alles kreist, bleibt die Figur Nathans. Immer wieder gelingt es ihm auf überraschende Weise, Situationen die aus den Fugen zu geraten drohen, auf eine neue, höhere Ebene zu führen. Er selbst tritt nicht als Ich-Erzähler auf, was ihm bis zum Ende den Hauch des Geheimnisvollen belässt. Obwohl wir mit seinem Charakter und Wesen im Laufe der Erzählung immer besser vertraut werden, scheint er uns dennoch ständig zu entgleiten. Pressler belässt der Figur des Nathan einen Kern, der sich dem abschließenden Urteil widersetzt und geheimnisvoll verborgen bleibt.

Mit einer geschickten Erzähltechnik lässt Mirjam Pressler die einzelnen Kapitel abwechselnd von den handelnden Personen der Geschichte aus der Ich-Perspektive erzählen. Der Leser wird dadurch einerseits in die Herkunft, Geschichte und Gedankenwelt der jeweiligen Personen eingeführt, andererseits wechselt er ständig die Perspektive auf die Geschichte. Damit erhebt Mirjam Pressler den Schlüssel zum Verständnis fremder Menschen mit fremden Kulturen und Religionen zum Kunstmittel: die Bereitschaft und das Abenteuer die Welt aus der Sicht der anderen zu betrachten.

Was ist der Mensch? könnte die zentrale Frage der Erzählung sein: Bin ich das, was ich glaube? Bin ich das, was ich habe? Bin ich das, was die anderen von mir sagen? Oder ist der Mensch, je mehr wir uns mit Toleranz und Respekt auf ihn einlassen, nicht doch ein unergründliches, einzigartiges Geheimnis, das es zu lieben gilt? Mirjam Pressler gibt mit ihrer Version von "Nathan der Weise' ein überzeugendes Beispiel für die Kraft der Literatur in ihrem Kampf um Toleranz und Liebe.

Mirjam Pressler, Nathan und seine Kinder. Ab 14 Jahren
Weinheim: Verlag Beltz & Gelberg 2009 (2. Aufl.), 264 Seiten, 17,50 EUR, ISBN 978-3-407-81049-6
 

Weiterführende Links:
Verlag Beltz und Gelberg: Mirjam Pressler, Nathan und seine Kinder
Homepage: Mirjam Pressler

 

Andreas Markt-Huter, 27-08-2009

Bibliographie

AutorIn

Mirjam Pressler

Buchtitel

Nathan und seine Kinder

Erscheinungsort

Weinheim

Erscheinungsjahr

2009

Verlag

Beltz & Gelberg

Seitenzahl

264

Preis in EUR

17,50

ISBN

978-3-407-81049-6

Lesealter

Zielgruppe

Kurzbiographie AutorIn

Mirjam Pressler wurde in Darmstadt geboren und wuchs bei Pflegeeltern auf. Sie studierte an der Akademie für Bildende Künste in Frankfurt und Sprachen in München. Sie hat drei erwachsene Töchter und lebt heute als freie Autorin und Übersetzerin bei München.