Siobhan Dowd, Ein reiner Schrei

dowd_schrei.jpgSo, in den ersten Seiten lässt sich der Roman ja wie eine dieser bigotten irischen Idyllen an, die als sattgrüner Dotter auf unseren Glücksvorstellungen liegen, aber als gelernte Irlandillusionisten wissen wir sofort, das geht wie immer bei irischen Romanen ganz anders aus.

Michelle, Shell gerufen, muss nach dem Tod der Mutter ins Familienmanagement springen, Vater wird irisch verlässlich ein Säufer, die jüngeren Geschwister sind anstrengend und infantil, und mit der Freundin geht es vor allem darum ,die richtige Körbchengröße für den neuen BH ausfindig zu machen.

Und dazwischen tummelt sich Declan herum, der nichts anderes im Sinn hat, als alle Mädchen flach zu legen, was in Irland automatisch Schwangerschaft bedeutet. Und über allem drohen und thronen Kirche und Kanzel. Sinnigerweise gibt es im Roman nur drei Jahreszeiten, auf den klischeehaften Frühling folgen schroff Herbst und Winter.

Declan hat sich nach Amerika aus dem Staub gemacht und Shell begreift, dass sie schwanger ist. Zu diesem Zweck tritt die gute alte Volksbildung in Gestalt eines Bücherbusses auf. Während die Bibliothekarin rasch eine Zigarette am Pier raucht, stiehlt Shell das Buch über, Schwangerschaften, Abnabelungen und Geburten.

Tatsächlich ist das Buch aus der Bücherei so lehrreich, dass es Shell auf eine Hausgeburt drauf ankommen lässt, sie wird einfach jäh überrascht, bringt zusammen mit den Geschwistern ein totes Kind auf die Welt und vergräbt es.

Bald darauf findet man scheinbar das Kind, aber es ist an einer völlig anderen Stelle ausgesetzt worden, also hat noch jemand ein Kind bekommen. Der Vater übernimmt im Suff und aus Notscham die Schuld und gibt an, das Kind getötet zu haben, allmählich klärt sich alles auf. Eine Zeitlang steht auch der junge Pater in Verdacht, der Vater des Kindes zu sein. Je höher der Würdenträger und die soziale Stellung, umso eher traut man diesen Personen allerhand zu, wenigstens da ist die irische Seele aufgeklärt.

Was bleibt ist eine bodenlose Hilflosigkeit in den Figuren und wohl auch bei den Lesern. So läuft es also unter der Tuchent der Moral ab, wenn nach außen scheinbar alles in Ordnung ist und es im Innern der Menschen kocht.

Siobhan Dowd erzählt in der deutschen Übersetzung unspektakulär, es geht um die Zitate und Abläufe, da braucht es keinen hoch gezüchteten Erzähldrall. Und so eine Literatur kann ordentlich aufwühlen und pädagogisch wertvolle Unruhe schaffen. Nichts ist in Wirklichkeit so, wie wir es außen zelebrieren. Gerade zwischen Jugendlichen und Erwachsenen ist ein Keil der Nicht-Sprache getrieben, der sich nur schwer herausschlagen lässt. Am ehesten geht es noch mit dem "reinen Schrei" eines Romans.

Siobhan Dowd, Ein reiner Schrei. A. d. Engl. von Salah Naoura.
Hamburg: Carlsen 2006. 316 Seiten. EUR 15,-. ISBN 978-3-551-58158-7

 

Weiterführende Links:
Carlsen-Verlag: Siobhan Dowd, Ein reiner Schrei
Wikipdedia: Siobhan Dowd

 

Helmuth Schönauer, 15-12-2006

Bibliographie

AutorIn

Siobhan Dowd

Buchtitel

Ein reiner Schrei

Originaltitel

A Swift Pure Cry

Erscheinungsort

Hamburg

Erscheinungsjahr

2006

Verlag

Carlsen

Übersetzung

Salah Naoura

Seitenzahl

316

Preis in EUR

15,-

ISBN

978-3-551-58158-7

Lesealter

Altersangabe Verlag

12

Zielgruppe

Kurzbiographie AutorIn

Siobhan Dowd, geb. in London, Kindheit in Irland, lebte in Oxford. Sie verstarb 2007 nach langer Krankheit.