Das Innsbrucker Zeitungsarchiv - ein Tiroler Aushängeschild Teil 2

Die größte universitäre Dokumentationsstelle für journalistische Literaturkritik im deutschen Sprachraum befindet sich in Tirol, genauer gesagt im Innsbrucker Zeitungsarchiv. Diese Forschungs- und Servicestelle der Universität Innsbruck versteht sich nicht nur als Informationsquelle für Angehörige der Universität, sondern für alle Literaturinteressierten.

Das Innsbrucker Zeitungsarchiv gilt weltweit als die Anlaufstelle bei der Suche nach Literaturkritik im deutschen Sprachraum. Die meisten Rechercheure kommen zwar aus dem deutschsprachigen Raum, daneben gibt es aber auch Anfragen aus dem übrigen Europa, Nord- und Südamerika, Afrika und dem asiatischen Raum.

Bei den Anfragen gibt es sehr unterschiedliche Informationbedürfnisse. Suchen die einen aus persönlichem Interesse nach Porträts über einen Autor, verwenden andere das Zeitungsarchiv, um z.B. nach relevanten Informationen für ihre Dissertation zu suchen.

Lesen in Tirol hat den Leiter des Innsbrucker Zeitungsarchivs, Univ. Prof. Dr. Stefan Neuhaus, besucht und ihn über die Aufgaben, Ziele und Schwerpunkte des Innsbrucker Zeitungsarchivs befragt.  Im zweiten Teil des Interview spricht Stefan Neuhaus über die Angebote des Zeitungsarchivs für SchülerInnen und Literaturinteressierte, aber auch über die Arbeit mit dem Archiv.


Interview mit Univ. Prof. Stefan Neuhaus: Teil 2 


Lesen in Tirol: Wer sind derzeit die Hauptbenützer des Innsbrucker Zeitungsarchivs und für wen könnten die Angebote des Zeitungsarchivs noch von Interesse sein?

Stefan Neuhaus: Wir haben vier Gruppen. Erstens Wissenschaftler, zweitens Kulturschaffende, das sind Autoren, die an Büchern schreiben, Theatermacher, also Leute, die im Theaterbereich tätig sind, denn wir sammeln ja auch Theaterkritiken, drittens Schüler und Studenten, wobei derzeit unser Angebot von mehr StudentInnen als von SchülerInnen genützt wird. Wir hoffen aber für die Zukunft, dass die Zahl der SchülerInnen zunehmend wird.

Die vierte Gruppe unserer Benutzer sind ganz allgemein Literaturinteressierte, wie z.B. pensionierte Lehrer oder Dozenten, die einfach als Hobby bestimmte Bereiche pflegen. Ein Kollege aus Augsburg besucht uns beispielsweise regelmäßig alle paar Wochen, um sich eine Sammlung von Filmkritiken anzuschauen, die uns einmal geschenkt wurden. Es melden sich bei uns aber auch Leute, die einfach ein Interesse an bestimmten Kritiken haben oder die Materialien zu bestimmten Literaturdebatten suchen.


Die Zahl der BesucherInnen, die in der Datenbank des Innsbrucker Zeitungsarchivs nach Artikeln recherchiert haben, kann sich sehen lassen. Fast 100.000 Besucher haben das Innsbrucker Zeitungsarchiv von Juli 2005 bis Mai 2006 genutzt.

Zum weiteren Kundekreis zählen Abonnenten wie Archive in Polen oder Skandinavien, bei denen es sich teilweise um selbständige Literaturarchive und teilweise um Archive handelt, die an Universitätsinstitute gekoppelt sind. Diese suchen dann z.B. alle deutschsprachigen Artikel zur skandinavischen Literatur und zu jedem skandinavischen Autor. Wir stellen in einem regelmäßigen Zeitrhythmus Artikel zum jeweiligen Schwerpunkt zusammen und schicken sie den Abonnenten zu.

Es gehören aber auch literarische Gesellschaften zu unseren Kunden. Wir haben hier bei uns im Haus z.B. einen Kollegen, der eine leitende Funktion in der Kleist-Gesellschaft inne hat und an den wir alles automatisch weiterleiten, was über Kleist erscheint. Bei dieser Form der Dienstleistungen handelt es sich meines Erachtens sicherlich um einen Wachstumsbereich. Viele literarische Gesellschaften, denen wir bisher vielleicht noch unbekannt sind, könnten von unserem Angebot profitieren.

Lesen in Tirol: Gibt es einen News-Letter des Innsbrucker Zeitungsarchivs, in dem über aktuelle News aus dem Zeitungsarchiv berichtet wird?

Stefan Neuhaus: Wir haben diese Idee schon mehrfach aufgegriffen, konnten sie bisher aus Kapazitätsgründen aber leider nicht verwirklichen. Ein News-Letter wäre überaus wünschenswert. Ein Schritt in diese Richtung ist ein kleiner Forschungsantrag, den wir beim Vizerektorat für Forschung eingebracht haben und von dem wir hoffen, dass er genehmigt wird. Wir beabsichtigen eine eigene Web-Site aufzubauen, in der das Zeitungsarchiv natürlich ein integraler Bestandteil sein soll. An diese Erweiterung des Angebots des Zeitungsarchivs wäre natürlich auch ein Newsletter mit angeschlossen. Für die Web-Site haben wir uns bereits die Domain literaturkritik.at? gesichert.

Auf dieser Web-Site sollen alle Feuilletons in Österreich vorgestellt und eine Linksammlung zu allen interessanten Internet-Seiten im Bereich der Literaturkritik zusammenstellen werden. Außerdem würden wir eine Rundmail-Liste einrichten, wo man einfach subskribieren kann und wo jeder Subskribent über diesen Verteiler selbst Informationen schicken könnte. Ein weiterer Informationsstrang wären Jobangebote und Praktika im Bereich der Literaturkritik.

Lesen in Tirol: Wie können SchülerInnen und LehrerInnen das reichhaltige Material des Innsbrucker Zeitungsarchivs im und für den Unterricht nutzen?

Stefan Neuhaus: Wir haben uns schon früher überlegt, alle Schulen anzuschreiben, was aus Kapazitätsgründen bisher unterblieben ist. Wir verstehen uns als Tiroler- und Innsbrucker Archiv und nicht einfach als eine Einrichtung an irgendeiner Universität. Für uns ist die Verankerung hier in der Region und in der Stadt von ganz großer Bedeutung.

 
Prof. Neuhaus wünscht sich für die Zukunft vermehrt SchülerInnen, LehrerInnen und allgemein Literaturinteressierte als Nutzer der Angebote des Innsbrucker Zeitungsarchivs.

Die Nutzungsmöglichkeiten bestehen natürlich in den philologischen Fächern, die mit Literatur arbeiten, wie Deutsch, Französisch und Englisch. Nachdem wir Material über die gesamte Weltliteratur sammeln, kann auch jemand, der eine Arbeit für den Englischunterricht an der Schule macht, in Englisch maturiert oder sich auf Prüfungen oder ein Referat vorbereitet und Informationen zu einem bestimmten Autor oder Thema sucht, bei uns unkompliziert und rasch sehr viel Material finden.

Unser Angebot, Schülerinnen und Schülern bereits einen wichtigen Zugang zum Thema zu eröffnen, scheint mir doch beachtenswert. Bevor SchülerInnen für ein Referat z.B. über Kleists Käthchen von Heilbronn? noch in eine Bibliothek gehen müssen, können sie über unsere Datenbank von zu Hause aus bereits Artikel finden, in denen nachgelesen werden kann, wie dieses Werk heute aufgeführt, gelesen und eingeschätzt wird.

Dadurch erhalten sie bereits eine erste Orientierung zu einem literarischen Werk. Egal ob es sich um ein historisches oder aktuelles Werk handelt, ist darüber hinaus auch die Frage nicht unwesentlich: Was sagt uns das Werk, welche Bedeutung hat es heute noch? Die Bedeutung des Käthchens von Heilbronn? für die heutige Zeit lässt sich der Forschung oft nicht entnehmen, sehr wohl aber aus Artikeln über Theateraufführungen, über Neu-Editionen oder Sekundärliteratur zu Kleist in unserem Zeitungsarchiv. Und gerade diese Art der Betrachtungsweise gewinnt an Schulen zunehmend an Bedeutung.

Es wird Literatur nicht mehr nur unterrichtet, indem gesagt wird: das ist ein wichtiger Autor und das müsst ihr jetzt alle lesen und übermorgen interpretieren wir das Ganze. Es geht wird immer mehr auch darum gehen, was uns das Ganze heute noch sagt! Das gilt selbstverständlich nicht nur für SchülerInnen sondern auch für LehrerInnen und alle interessierten Nutzer des Zeitungsarchivs.

Lesen in Tirol: Was kann das Archiv für den Umgang mit und das Verständnis für Literatur interessierten Lesern? auch ohne wissenschaftliches Interesse oder Hintergrundwissen bieten?

Stefan Neuhaus: Heute ist das Angebot an Literatur praktisch unüberschaubar und Feuilletons versuchen so etwas wie Orientierung zu leisten. Wenn ich relativ schnell wissen möchte, was im Moment im Bereich der Literatur aktuell ist, was es für Neuerscheinungen gibt oder wie ich aus der Unmenge an literarischen Neuerscheinungen auswählen soll, habe ich einerseits die Möglichkeit, permanent das Feuilleton einer bestimmten Zeitung zu lesen oder ich kann auch bei uns im Zeitungsarchiv danach suchen.


Mit Hilfe der erweiterten Suche lassen sich z.B. Literaturartikel auflisten, die im Mai 2006 in der Süddeutschen Zeitung erschienen sind.

Bei uns steht aber nicht nur eine Zeitung, sondern es stehen komplett alle Zeitungen zur Auswahl. Wenn ich z.B. wissen will, was auf der Leipziger oder Frankfurter Buchmesse alles erschienen ist, können am Innsbrucker Zeitungsarchiv sämtliche Lektüreempfehlungen quer durch alle Medien durchgesehen werden und nicht nur was z.B. die Tiroler Tageszeitung über die Frankfurter Buchmesse zu berichten hat.

Lesen in Tirol: Wie gehe ich vor, um im Innsbrucker Zeitungsarchiv beispielsweise Wissenswertes über literarische Neuerscheinungen im Frühjahr 2006 zu finden?

Stefan Neuhaus: Die erste Anlaufstelle ist zunächst unsere Web-Site und die erweiterte Suche?, wo sich die Möglichkeit bietet, die Suche z.B. nach bestimmten Zeiträumen einzugrenzen. Es ist möglich zu fragen: Was ist alles im Mai 2006 über Literatur geschrieben worden. Ich kann die Suche also zeitlich, aber auch gezielt nach bestimmten Medien eingrenzen, zB. was ist in diesem Zeitraum in der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht worden. Die gleiche Eingrenzung ist außerdem nach Schlagworten wie z.B. Frankfurter Buchmesse 2005? möglich.

Die dazu gefundenen Artikel werden aufgelistet und jene die frei zugänglich sind, können direkt ausgedruckt werden. Nicht freigegebene Artikel können aus Copyrightgründen nicht über Internet gelesen werden. Wen diese Artikel trotzdem interessieren, der kann entweder direkt zu uns ans Institut kommen und den Artikel im Zeitungsarchiv lesen oder kann uns ein Mail schreiben und den Artikel bestellen. Dieser wird dann gegen einen geringen Unkostenbeitrag per Post zugesandt. Die Bestellung selbst ist bei einem großen Teil der Artikel direkt über die Suchmaske möglich.

Als Teil der Universität und durch Zuschüsse, die wir erhalten, sind wir in der glücklichen Lage, die nachgefragten Artikel zu Kosten zur Verfügung zu stellen, die nur einen Bruchteil des tatsächlichen Aufwands abdecken.

Lesen in Tirol: Welche Rolle messen Sie der zunehmend größer werdenden Zahl an Texten von AutorInnen, über AutorInnen und Literatur bei, die im Internet erscheinen und oft nur mehr dort zu lesen sind. Z.B. die Homepage von Elfriede Jelinek umfasst derzeit Texte im Umfang von ca. 1.600 Druckseiten. Kann dieser Bereich einerseits vernachlässigt werden und wie lässt er sich andererseits bewältigen?

Stefan Neuhaus: Wir möchten auch diese Texte gerne sammeln und haben zu diesem Zweck beim FWF, dem Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung einen Antrag gestellt, der leider in einem ersten Anlauf abgelehnt worden ist. Wir sind aber gerade dabei, diesen zu überarbeiten. Der Antrag hat die Erforschung und Archivierung digitaler Literaturzeitschriften zum Ziel. Autoren Homepages, Webseiten und Weblogs sind wiederum eigene Bereiche, man muss sich hier erst hineinarbeiten.


Der Bereich der Literatur im Internet wird im Laufe der Jahre sicherlich zunehmend wichtiger werden.

Wir haben einen ständig wachsenden Bereich von Literaturzeitschriften und Literaturseiten im Internet, wo es niemanden gibt, der sie archiviert. Das große Problem ist die Rekrutierung von Fördergeldern, sodass ein Förderungsantrag für diesen Bereich mehr auf die Erforschung als auf die Archivierung abzielen muss, da Drittmittel in erster Linie für Grundlagenforschung zur Verfügung gestellt werden. Der Bereich der Literatur im Internet wird im Laufe der Jahre sicherlich zunehmend wichtiger werden. Dieser Antrag könnte dazu einen ersten Schritt in die Richtung darstellen, um auch diese zu erfassen.

Lesen in Tirol: Wie stellt sich die Situation für das Innsbrucker Zeitungsarchiv in finanzieller Hinsicht dar?

Stefan Neuhaus: Wir haben in den letzten drei Jahren die finanziellen Mittel für das IZA halten können, worüber wir sehr froh sind. In einzelnen Bereichen ist es uns gelungen, Förderungen z.B. durch die Stadt Innsbruck dazu zu gewinnen. Auch vom Land Tirol werden wir immer wieder unterstützt.

Derzeit sehe ich aber keine Möglichkeiten, zusätzliche Gelder zu requirieren, auch wenn wir uns sehr darum bemüht haben. Wir haben in der Vergangenheit z.B. alle größeren Tiroler Unternehmer angeschrieben, uns vorgestellt und einen Termin vorgeschlagen, an dem wir über das Zeitungsarchiv und über Möglichkeiten des Sponsorings informieren wollten. Leider ist der Termin gar nicht erst zustande gekommen, weil sich niemand gemeldet hat. Von ca. 60 Aussendungen haben wir nur eine Antwort erhalten, die aber leider negativ war.

Lesen in Tirol: Welche Veröffentlichungen gibt es von Seiten des Innsbrucker Zeitungsarchivs?

Stefan Neuhaus: Seit dem letztem Jahr haben wir eine eigene Publikationsreihe im deutschen Lit-Verlag?, die Innsbrucker Studien zur Alltagsrezeption, wo zwei Bände bereits erschienen sind und sich weitere vier Bände entweder im Druck oder in der Projektphase befinden, sodass wir am Ende des Jahres zwischen fünf und sechs Bänden dieser Reihe vorliegen haben werden. Auch über diese Reihe wollen wir uns als Forschungsinstitution profilieren.


Das Innsbrucker Zeitungsarchiv hat bereits zahlreiche Bücher zur Literaturwissenschaft publiziert und gibt seit dem letzten Jahr die Publikationsreihe Innsbrucker Studien zur Alltagsrezeption heraus.

Wir haben uns auch überlegt, eine Zeitschrift für Literaturkritik herauszugeben, wofür wir bereits ein Angebot des renommierten deutschen Verlags Königshausen & Neumann erhalten hatten. In letzter Sekunde ist uns dabei aber leider die finanzielle Unterstützung durch eine Tiroler Bank abhanden gekommen, sodass wir diese Idee erst einmal nicht weiterverfolgen können.

Vielleicht gelingt es uns aber auch über eine zukünftige Internetseite literaturkritik.at? Aufsätze zum Bereich der Literaturkritik und aus der Praxis und der Wissenschaft zu veröffentlichen.

 

>> Das Innsbrucker Zeitungsarchiv - ein Tiroler Aushängeschild Teil 1 
>> Das Innsbrucker Zeitungsarchiv - ein Tiroler Aushängeschild Teil 3

 

Andreas Markt-Huter, 24-06-2006


Weiterführende Links:
Innsbrucker Zeitungsarchiv
Lesen in Tirol: IZA - Literatur im Spiegel öffentlicher Medien

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