Helmuth Schönauer, Nie wieder Tirol

helmuth schönauer, nie wieder tirol„Tirol ist ein mehr oder weniger gelungener Bluff, der die Leute über den Tisch zieht, sobald jemand das Land betreten hat. Es gibt in Tirol nichts, was Sie nicht zu Hause in besserer Qualität haben könnten.“ (S. 5)

Die beiden jungen bayerische Startup Unternehmer Cum und Kim wollen in Tirol eine App entwickeln, mit deren Hilfe man sich in Tirol umschauen kann, ohne nach Tirol fahren zu müssen. Auf ihrer Fahrt nach Tirol werden sie nach zahlreichen gescheiterten Versuchen erkennen, dass es unmöglich ist, in das total „verstaute“ Land einzureisen.

Die Anfahrt nach Tirol von der A8 entwickelt sich rasch zum ausgemachten Desaster, als sich noch vor der Grenze ein gewaltiger Stau bildet und ein Weiterfahren unmöglich macht, nachdem ein LKW einen Unfall hatte. Während die beiden „Startuper“ im Stau stecken, schweift die Erzählung schon mal voraus nach Tirol ab, wo z.B. gleich nach der Grenze in Erl in den beiden Festspielhäusern seit „fünfzehn Jahren Wagner im Vierundzwanzig-Stunden-Betrieb gespielt wird“.

Deshalb sprechen Fachleute der Erler Festspiele ja auch von der Wagnerschen Möbius-Schleife und nicht vom Ring. (S. 13)

Der erste Versuch nach Tirol einzureisen scheitert und selbst aus der Übernachtung im grenznahen Tatzelwurm wird nichts, sodass die Rückreise nach München angesagt ist, von wo aus der nächste Versuch stattfinden wird, der genauso scheitert, wie alle folgenden Anstrengungen das „zugestaute“ Land zu betreten.

Dazwischen bietet sich reichlich Gelegenheit über Ereignisse und Verhältnisse in Tirol zu philosophieren, die wie den Schlagzeilen diverser Zeitungen entnommen sein könnten. Dabei haben die Kommentare - wie auch Sagen - stets einen wahren Kern. Die überspitzten Übertreibungen entlarven auch den Blick von Zeitungsmeldungen und decken den eigentlichen, tiefer liegenden Wahnsinn auf, wenn z.B. das Leben, die Natur und selbst der Sex nur mehr über Vermittlung von Apps und digital als real wahrgenommen werden.

Jeder hat mittlerweile eine Orts-App, wo er den Stau gleich mit der Postleitzahl kombiniert auf das Display geworfen bekommt. (S. 88)

Für die Tiroler Leserinnen und den Tiroler Leser ziehen in Schönauers Tirol-Schilderungen die heimischen Schlagzeilen der vergangenen Jahre wie im Zeitraffer vorüber, sei es der Skandal rund um die Erler Festspiele, seien es Ereignisse aus Politik, Kultur und Gesellschaft oder die omnipräsente und nicht enden wollende Verkehrslawine, die sich durch das Land zieht.

Mit den Mitteln der Übertreibung und seiner gewohnt von Körperflüssigkeiten und –sekreten durchzogenen Sprache gelingt es ihm, den in der Realität nur schwer erträglichen Wahnsinn aus ungewohnten Blickwinkeln vorzuführen und mit Humor, ganz in der Manier des Bibliothekars, in wohldosierten Katalogisaten erträglich zu machen. Dabei erhalten auch Begriffe wie die sogenannten „Schranzhocke“ eine neue Dimension.

Wer sich mit Tirol wirklich auseinandersetzen will, wird an Helmuth Schönauer nur sehr schwer vorbeikommen, doch Achtung: was er über Tirol zu sagen hat, gilt wahrscheinlich auch für die restlichen Regionen dieser Welt. Überall wo sich der Wahnsinn als Unfall offenbart, heißt es letztendlich dann doch: „Fahren Sie weiter! Es gibt nichts zu sehen!“

Helmuth Schönauer, Nie wieder Tirol. Fahren Sie weiter! Es gibt nichts zu sehen! [Kampf-Roman]
Zirl: Edition BAES 2018, 144 Seiten, 14,90 €, ISBN 978-3-9504419-6-3

 

Weiterführende Links:
BAES: Helmuth Schönauer, Nie wieder Tirol
Wikipedia: Helmuth Schönauer
Helmuth Schönauer: Ein Autor, Bibliothekar und Rezensent geht in Pension – Teil 1

 

Andreas Markt-Huter, 04-02-2019

Bibliographie

AutorIn

Helmuth Schönauer

Buchtitel

Nie wieder Tirol. Fahren Sie weiter! Es gibt nichts zu sehen! [Kampf-Roman]

Erscheinungsort

Zirl

Erscheinungsjahr

2018

Verlag

BAES

Seitenzahl

144

Preis in EUR

14,90

ISBN

978-3-9504419-6-3

Kurzbiographie AutorIn

Der Schriftsteller, Satiriker und Bibliothekar Helmut Schönauer schrieb neben Kurzgeschichten, Gedichten, Satiren und Romanen auch eine fast lückenlose Sammlung von Rezensionen zur Tiroler Gegenwartsliteratur.