Helmut Luther, Mussolinis Kolonialtraum

helmuth luther, mussolinis kolonialtraumEin nicht zu unterschätzendes Motiv für Migrationsströme ist der sogenannte „Gegenbesuch“. Viele Völker, deren Vorfahren einst von Europäern aufgesucht und heimgesucht worden sind, treten jetzt höflich den Gegenbesuch nach Europa an.

Der Reiseschriftsteller Helmut Luther geht in seinem Abessinien-Buch den Spuren Mussolinis nach, die dessen faschistische Expedition in den heutigen Ländern Äthiopien und Eritrea hinterlassen hat.

Im Gepäck hat er ein Kriegstagebuch eines gewissen Anton R. aus dem Eisacktal, den er anonymisiert behandelt, weil es längst noch nicht diskussionswürdig ist, wie auch Südtiroler unter dem Faschismus in Abessinien gewütet haben. Die Reisereportage berichtet aus Städten wie Asmara, Debub und Addis Abeba, viele Gebiete sind für Touristen gesperrt, und vor allem in Eritrea herrscht pure Gewalt, wo Folterungen, Hinrichtungen und Verschwinden-Lassen an der Tagesordnung sind.

Der Autor besucht behutsam die „Siegesstraße“, die mit Blut und Pomp einst von den Italienern angelegt worden ist. Zwischendurch lässt er sich vom Leben und Sterben erzählen, nämlich wie die Menschen heute leben müssen und wie sie während der Kolonialisierung ununterbrochen zum Sterben ausrücken mussten. Im Abessinien-Krieg (1935-1941) nämlich wurde hemmungslos Giftgas eingesetzt und die faschistischen Truppen haben gewütet, dass die Menschen für Generationen traumatisiert sind.

So horcht denn auch die Familie stumm im Nebenraum mit, was der Großvater dem Journalisten an Massakern erzählt. Dieser schreibt auf und vergleicht es mit dem Tagebuch des Anton. R, der als einer von 1100 Südtirolern in Abessinien „gekämpft“ hat.

Die blutige Erinnerungstour wird von Fotoblöcken gestützt. Der erste Teil zeigt schwarzweiß Kolonial-Fotos, wo die Bevölkerung vor laufender Kamera gedemütigt wird. Zwischendurch sind Bilder von Gasangriffen und Massakern zu sehen.

Im bunten Teil kommen die Bauten des Faschismus zum Vorschein. In der trockenen Luft stabil gehaltene Brücken, Villen, Verwaltungsgebäude und Straßenbefestigungen. Ein Fiat 600 aus den fünfziger Jahren dient einer Fahrschule als Übungsgerät und lässt erahnen, wie die faschistische Verwaltung für die Ewigkeit gedacht hat.

Helmut Luthers Reisebuch lässt sich nicht ohne Kontext zur Südtiroler Gegenwart lesen. Erstaunlich ist die Verdrängungsstrategie, mit der man dem Einsatz der Südtiroler in Abessinien im Allgemeinen auszuweichen versucht. Die faschistischen Bauten in Bozen bekommen einen zusätzlichen Touch, wenn sie mit dem gleichen Grundriss plötzlich in Adis Abeba stehen, und man fragt sich, ob dort auch die Inschriften mit beschrifteten Glasplatten abgedeckt werden.

Und plötzlich ahnt man das Grummen im Südtiroler Land, wenn die Menschen aus dem damaligen Abenteuerland plötzlich vor der Haustüre stehen und um Asyl bitten. Da sieht man sich doch wirklich als gelernter Südtiroler um einen zweiten Pass um.

Helmut Luther, Mussolinis Kolonialtraum. Eine Reise zu den Schauplätzen des Abessinienkrieges, m. zahlr. Fotos
Bozen: Edition Raetia 2017, 229 Seiten, 22,00 €, ISBN 978-88-7283-609-5

 

Weiterführender Link:
Edition Raetia: Helmut Luther, Mussolinis Kolonialtraum

 

Helmuth Schönauer, 15-12-2017

Bibliographie

AutorIn

Helmut Luther

Buchtitel

Mussolinis Kolonialtraum. Eine Reise zu den Schauplätzen des Abessinienkrieges

Erscheinungsort

Bozen

Erscheinungsjahr

2017

Verlag

Edition Raetia

Seitenzahl

229

Preis in EUR

22,00

ISBN

978-88-7283-609-5

Kurzbiographie AutorIn

Helmut Luther, geb. 1961 in Meran, lebt in Meran.