Lesen: Buch oder E-Book?

Schreibblock und e-bookDie Forschung zeigt, dass Papier auch weiterhin das bevorzugte Lesemedium bleiben sollte, vor allem wenn es um vertieftes Lesen, längere Einzeltexte und das Erinnern von Inhalten geht. Für unterschiedliche Lerntypen bei Kindern ist es aber auch interessant, gezielt digitale und gedruckte Texte einzusetzen.

Mit der Covid-Pandemie und den daran anschließenden Lockdowns hat die Digitalisierung in Beruf mit Homeoffice und Schulen mit Home-Schooling einen zusätzlichen Schub erhalten. Wie wirkt sich die zunehmende Digitalisierung unserer Schul- und Arbeitswelt auf die Lesekompetenz und das Leseverhalten junger Menschen aus. Nach Antworten darauf hat sich die europäische Forschungsinitiative E-READ bereits zwischen 2014 – 2018 gemacht. 2019 wurden in der „Stavanger Erklärung“ eine Zusammenfassung der zentralen Ergebnisse der Metastudie veröffentlicht.

Mehr als 130 Wissenschaftler aus den unterschiedlichsten Forschungsbereichen der Geistes- und Naturwissenschaften haben es sich zur Aufgabe gemacht, die Auswirkungen der Digitalisierung auf das Lesen, die Lesefähigkeit und das Leseverhalten zu untersuchen. Im Projekt wurde die Zusammenarbeit zwischen experimenteller Forschung wie z.B. Psychologie und Neurowissenschaften und qualitativer Forschung wie Mediengeschichte, Lesegeschichte, Pädagogik und Soziologie gezielt gefördert.

Die Initiative geht zunächst von wirtschaftlichen Aspekten der Lesekompetenz aus, die als Schlüsselfaktor für die Wachstumsstrategie der EU bezeichnet wird. Untersuchungen haben ergeben, dass für das Lesen langer Texte immer weniger Zeit aufgewandt wird und dass das Lesen durch die zunehmende Digitalisierung immer unregelmäßiger stattfindet.

schreibmaschine mit text e-reading
Die europäische Forschungsinitiative E-READ setzt sich mit den Auswirkungen
der zunehmenden Digitalisierung auf das Lesen auseinander.
Bild: Pixabay
 

Aufgrund verschiedener Studien (PISA, PIRLS, etc.) kann davon ausgegangen werden, dass ca. ein Fünftel der Europäer nicht über ausreichende Lesekenntnisse verfügt, obwohl diese in einer modernen Informationsgesellschaft immer wichtiger werden. Um dem entgegenzuwirken gilt es, die geeigneten Lesematerialien, ob in gedruckter oder digitaler Form, für verschiedene Leseformen und Zielgruppen interdisziplinär zu erforschen.
 

Zentrale Ergebnisse der Metastudie E-READ

Die Ergebnisse der Forschungsinitiative E-Read haben gezeigt, dass Papier auch weiterhin das bevorzugte Lesemedium für längere Einzeltexte bleibt, insbesondere wenn es um vertieftes Lesen und dass das Lesen langer Sachtexte geht. Die Fähigkeit lange Texte zu lesen ist von unschätzbarem Wert für eine Reihe von kognitiven Leistungen, wie Konzentration, Vokabelbildung und Gedächtnis. Daher ist es wichtig, dass das Lesen langer Texte als eine von mehreren Lesearten erhalten und fördern. Nachdem die Bildschirmnutzung bei Kindern und Jugendlichen aber weiterhin zunehmen wird, gilt es gezielt Wege zu finden, wie ein vertieftes Lesen von Langformtexten auch auf Bildschirmen gefördert werden kann.

buch lesen
Papier bleibt auch weiterhin bevorzugtes Lesemedium für längere Text und
vertieftes Lesen.
Bild: Pixabay
 

Einerseits bieten digitale Lesemedien die Möglichkeit, Texte an individuelle Bedürfnisse und Vorlieben anzupassen. Verständnis und Motivation lassen sich zudem steigern, wenn die digitale Leseumgebung sorgfältig auf den Leser abgestimmt wird.

Auf der anderen Seite neigen Leser dazu, ihre Verständnisfähigkeiten beim digitalen Lesen, im Vergleich zum Lesen gedruckter Texte, eher zu überschätzen. Eine Metastudie von 54 Studien mit mehr als 170.000 Teilnehmern hat gezeigt, dass das Verständnis langer Sachtexte beim Lesen auf Papier stärker ist als auf Bildschirmen, insbesondere wenn der Leser unter Zeitdruck steht. Bei erzählenden Texten hingegen konnten keine wesentlichen Unterschiede beobachtet werden. Ein weiteres Problem liegt darin, dass das Lesen am Bildschirm weniger konzentriert und vertieft erfolgt als auf Papier. Zudem wird stärker fragmentiert gelesen und entwickelt sich das Überfliegen von Texten zum Standardlesemodus.

Entgegen den Erwartungen über das Verhalten von Digital Natives haben die Nachteile des Bildschirmlesens im Vergleich zu Papier im Laufe der Zeit eher zugenommen als abgenommen und zwar unabhängig von der Altersgruppe und den bisherigen Erfahrungen mit digitalen Umgebungen.

Die Studie hat auch gezeigt, Leser, Pädagogen und Forscher unterschätzen den Einfluss des Lesemediums auf das Verständnis und die Aufnahme von Informationen beim Lesen, also darauf, wie und was wir lernen, was wir wissen und wie wir handeln.
 

Empfehlungen

Die Studie spricht sich für systematische und sorgfältige empirische Untersuchungen, unter welchen Bedingungen Lernen und Verstehen verbessert werden können und welche Umstände - in gedruckten wie in digitalen Umgebungen - Lernen und Verstehen behindern.

Bibliothek
Auch in Zukunft sollen Schulbibliotheken Kinder und Jugendliche mit
Bücher zum Lesen motivieren.
Bild: TIBS-Bilderdatenbank, Markt-Huter
 

Den Schüler sollten Strategien vermittelt werden, mit denen es ihnen gelingt, vertieftes Lesen und übergeordnete Leseprozesse auch auf digitalen Geräten besser zu erzielen. Darüber hinaus bleibt es wichtig, dass Schulen und Schulbibliotheken weiterhin Schüler motivieren, traditionell gedruckte Bücher zu lesen und dafür auch Zeit im Lehrplan zur Verfügung stellen.

Lehrer und Pädagogen müssen wissen, dass ein rascher und wahlloser Wechsel von Print-, Papier- und Bleistiften zu digitalen Technologien in der Grundschulbildung nicht ohne Auswirkungen bleibt. Wird der Wechsel nicht von sorgfältig entwickelten digitalen Lernwerkzeugen und Lernstrategien begleitet, kann dies zu einem Rückschlag in der Entwicklung des Leseverständnisses von Kindern und einem sich entwickelnden kritischen Denkvermögen führen.

Vor allem im Bildungsbereich, aber auch im Umgang mit Medien im Allgemeinen gilt es, bessere Leitlinien für den Einsatz digitaler Technologien zu entwickeln. Dazu müssen im Unterricht digitale Kompetenzen vermitteln werden, z.B. was bei der Auswahl digitaler Informationen aus dem Internet zu beachten ist und wie sich die unterschiedlichen Daten bewerten und zusammenfassend integrieren lassen. Diese Kompetenzen können in unterschiedlichsten Zusammenhängen angewandt werden, zum Beispiel im Umgang mit Informationen von Regierungen und anderen öffentlichen Bereichen.

Pädagogen, Leseexperten, Psychologen und Techniker sollten enger zusammenarbeiten, um digitale Werkzeuge und Software zu entwickeln, welche die Erkenntnisse der Forschung über digitale und gedruckte Formate berücksichtigen, einschließlich der Bedeutung des haptischen und körperlichen beim Lesen. Diese Zusammenarbeit kann auch helfen, eine unvoreingenommene und auf Fakten beruhende öffentliche Debatte über den digitalen Wandel zu erleichtern.
 

Offene Fragen für die zukünftige Forschung

Die fortschreitende Nutzung digitaler Medien für Bildung und persönliches Lesen wirft zudem wichtige Fragen über die Zukunft des Lesens, des Lese- und Schreibunterrichts und der anhaltenden Bedeutung schriftlicher Kommunikation auf. Beispielsweise die Frage, in welchen Bereichen des Lesens und für welche Leser die Verwendung von digitalem Text am vorteilhaftesten sein kann?

buch und e-book
Bücher und E-Books werden auch in Zukunft nebeneinander zum Einsatz
kommen und ihre jeweiligen Vorteile ausspielen können.
Bild: Pixabay
 

Umgekehrt gilt es die Bereiche des Lernens und des literarischen Schreibens zu berücksichtigen, in denen das Medium Papier weiterhin gefördert werden sollte. Es hat sich gezeigt, dass am Bildschirm weniger konzentriert und vertieft gelesen wird, dass Lesen stärker fragmentiert erfolgt und dabei das Überfliegen von Texten zum Standardlesemodus wird. Hier ist es wichtig, einige zentrale Fragen zu klären. Z.B., ob sich diese Erscheinungsformen des digitalen Lesens auch auf das Leseverhalten bei gedruckten Texten übertragen? Ob unsere Anfälligkeit für Falschmeldungen, Verzerrungen der Wirklichkeit und Vorurteile durch zu großes Vertrauen in unsere digitalen Lesefähigkeiten verstärkt wird? Und wie lässt sich eine tiefere Verarbeitung gelesener Texte fördern, insbesondere von Texten am Bildschirm?

Interessant am Abschlussbericht der Forschungsinitiative E-READ scheint, dass trotz einer Ausrichtung auf die wirtschaftliche Interessen des Wachstumsplans der EU, in dem die Digitalisierung der Lebenswelt eine zentrale Rolle spielt, das Lesen gedruckter Texte gegenüber dem Lesen in digitalen Ausgabemedien favorisiert wird. Das Lesen in klassischen Büchern aus Papier dürfte, wenn lesepädagogische Kriterien als Maßstab genommen werden, auch weiterhin Bestand haben.



Weiterführende Links:

 

Andreas Markt-Huter, 20-10-2021

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