Silvia Ferrara, Die große Erfindung

silvia ferrara, die große erfindung„Dieses Buch handelt weder von der griechischen Antike noch vom Alphabet, und es auch kein historischer Essay, sondern gewissermaßen eine Erzählung, die von einer Erfindung handelt: von der größten der Welt. Gewissermaßen, weil sie zwar einen Anfang hat und von einer abenteuerlichen Reise um die Welt handelt, ihr Ende aber erst noch geschrieben werden muss.“ (S. 9)

Silvia Ferrara betrachtet die Schrift als Manifestation des menschlichen Bedürfnisses zu kommunizieren, unsere Existenz „auf einem fest Grund zu verankern“ und unsere Bewusstsein die Zeiten überdauern zu lassen. Als Helden steht dabei der Menschen selbst im Mittelpunkt, mit seiner Fähigkeit mit dem Leben zu interagieren und zu kommunizieren. In der Schrift tritt uns eine ganze Welt entgegen, die es zu entdecken gilt und durch die wir die Erscheinungen der Welt filtern.

Zu Beginn wird der Frage nach der Entstehung einer Schrift nachgegangen, nach der Vermehrung der Bedeutung von Symbolen, die mit der Zeit auch Silben und Laute bezeichnen konnten. Schrift muss als soziale Erfindung verstanden werden, bei der Verständigung, Koordination und Feedback die Schlüsselfaktoren bilden. Die Schrift selbst, ihre Linienform lässt sich in den Umrissen der Dinge der Natur selbst entdecken, was an der Art und Weise liegt, dass wir unsere Umwelt deutlicher durch Kontraste wahrnehmen.

Im folgenden Kapitel wird den „unentzifferten Schriften“ auf den Inseln Kreta, Zypern und den Osterinseln nachgegangen, denen durch ihre isolierte Entstehung der Austausch mit anderen Schriftkulturen gefehlt hat. Die Erfindung der Schrift gilt dabei als Experiment, dem oftmals kein Erfolg beschieden ist. Allein auf Kreta lassen sich vier Schriften ausmachen, wie die kretischen Hieroglyphen, die Linearschrift A, die Schriftzeichen auf dem Diskos von Phaistos und die Linearschrift B.

Das zweite Kapitel „Erfundene Schriften“ beschäftigt sich dem Verhältnis von Schrift und Stadtbildung, von den Notwendigkeiten der Bürokratie in einer komplexeren Gesellschaft. Näher betrachtet wird Entwicklung der Schrift im Ägypten der Pharaonen, in Mesopotamien, in China und in Mesoamerika.

Kapitel „Experimente“ geht der Vermittlung von Inhalten, Geschichten und Traditionen durch Schrift nach und zeigt auch auf, dass sich verschiedene Typen von Schriften bewährt haben oder wieder verschwunden sind. Wir erfahren von erfundenen Schriften ohne dazugehörige Sprache oder von Schriften, die für bestimmte Sprachen erfunden worden sind, wie z.B. das Cherokee-Syllabar.

Das Kapitel „Entdeckungen“ setzt sich mit den Geheimnissen der Entzifferung von Schriften auseinander, die an die Entschlüsselung von Codes erinnert und im Kapitel „Die Große Vision“ rücken die neuen Möglichkeiten der digitalen Kommunikationskultur in den Fokus der Betrachtung. Wie verändert sich die Bedeutung der Schrift von den ägyptischen Hieroglyphen bis zum Klammeraffen einer jeden E-Mail.

Silvia Ferrara verbindet auf literarische Weise Sachwissen mit philosophischer Mediation über das Thema Schrift, ihre Bedeutung für den Menschen und Auswirkungen in der Geschichte. Dabei zieht sich geschickt Verknüpfungen zwischen Vergangenheit und Gegenwart und lässt auch immer wieder persönliche Erfahrungen in ihre Darstellung einfließen.

Ein überaus lesenswertes Sachbuch, das die Leserinnen und Leser mühelos in das Denken der Autorin eintauchen und gleichzeitig interessantes Hintergrundwissen aufnehmen lässt.

Silvia Ferrara, Die große Erfindung. Eine Geschichte der Welt in neun geheimnisvollen Schriften, mit 40 Abb., übers. v. Enrico Heinemann [Orig. Titel: La grande invenzione. Storia del mondo in nove scritture misteriose]
München: C.H. Beck Verlag 2021, 251 Seiten, 25,70 €, ISBN 978-3-406-77540-6

 

Weiterführende Links:
C.H. Beck Verlag: Silvia Ferrara, Die große Erfindung
Universita di Bologna: Silvia Ferrara (engl.)

 

Andreas Markt-Huter, 21-12-2021

Bibliographie

AutorIn

Silvia Ferrara

Buchtitel

Die große Erfindung. Eine Geschichte der Welt in neun geheimnisvollen Schriften

Originaltitel

La grande invenzione. Storia del mondo in nove scritture misteriose

Erscheinungsort

München

Erscheinungsjahr

2021

Verlag

C. H. Beck Verlag

Übersetzung

Enrico Heinemann

Seitenzahl

251

Preis in EUR

25,70

ISBN

978-3-406-77540-6

Kurzbiographie AutorIn

Silvia Ferrara lehrt Klassische und Ägäische Philologie an der Universität Bologna. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt auf den antiken Schriften der vorgriechischen Zeit. Ferrara ist Projektleiterin des vom Europäischen Forschungsrat finanzierten Projekts INSCRIBE, das die Erfindung und die frühen Phasen der Schrift untersucht.