Günther Loewit, Kosinsky und die Unsterblichkeit
Bei diesem Familienroman liegen die Erzählscheiben chronologisch disparat ausgebreitet auf wie alte Schützenscheiben, die jemand ungeordnet abgestellt hat.
Günther Loewit nennt seinen Roman eine Recherche, die Nachfahren suchen die Vorfahren, die Zeitgenossen die Familienmitglieder und alle versuchen, in ihrer Zeit zu überleben, was ja fürs erste Unsterblichkeit bedeutet.
Dem Roman ist eine physikalisch-philosophische Überlegung vorangestellt. Was bringt letztlich mehr Erkenntnis, die Behauptung des französischen Physikers Laplace, wonach sich alles genau vorhersagen lässt, oder die Unschärferelation Heisenbergs, wonach man über die Position eines Teilchens oder Zustandes nie eine genaue Vorhersage machen kann? Angesichts dieser Fragestellungen lassen sich auch Familienrecherchen irgendwie hintennach vorhersagen.
Die Geschichte der Innsbrucker Anwaltsdynastie Kosinsky wird in schroff von einander abgeschnittenen Portionen erzählt. Der alte Kosinsky hat in dem späteren Tiroler Gauleiter Hofer zu einem Freispruch verholfen. Obwohl er zum Katholizismus konvertiert ist, wird er als Jude von den Nazis verfolgt, ins Lager Reichenau eingeliefert, kommt wieder frei und muss sich verstecken.
Er leidet unendlich daran, kein Vater im herkömmlichen Sinn sein zu können, denn er muss sich in die eigene Familie immer einschleichen wie ein Verbrecher. Seltsam ist auch sein Tod. Als er nach dem Krieg sein Fahrrad aus dem Keller holt, verletzt er sich am Finger und stirbt an Blutvergiftung und wohl auch an Zeitverzögerung.
Der mittlere Kosinsky wird Biologe und gibt das Sommerhaus auf, damit alle Erinnerungen verlöschen. Seine größte Schmach ist eine Anhaltung am Brenner, als er an einer stehenden Kolonne vor fährt und von einem Carabiniere vorgeführt wird. Der letzte Kosinsky erleidet seine Schmach im besten Gymnasium Innsbrucks, als ihm der Lateinlehrer mitteilt, dass solche wie er früher nicht hier gesessen wären.
Als dann die Regierung den Restitutionsfonds eröffnet, will eigentlich niemand damit was zu tun haben, denn die Erinnerungen sind immer noch schmerzhaft.
Alle drei Generationen kämpfen mit der jeweiligen Zeit, der Großvater ums Überleben, der Mittlere ums Vergessen, und der Jüngste gegen das ständige Einsickern der Erinnerung. Dabei können die Väter nie mit ihren Söhnen reden, Großvater muss sich einschleichen, um den Sohn zu umarmen, dieser entfremdet sich von seinem Sohn und spricht höchstens durch den Zaun eines Schwimmbades mit ihm. Nicht untrefflich sind am Cover zwei Vaterkarikaturen abgebildet, die im scharfen Gegenschnitt zu klein geratene Söhnebabies in die Staffelei halten.
Günther Loewit erzählt knapp, wie es dem Ergebnis einer kargen Recherche entspricht. Die aufgesplitteten Zeitebenen fügen sich immer wieder hinter dem Rücken des Erzählers zu einer selbständigen Geschichte zusammen und erzählen so von einer zerrissenen Kontinuität, vielleicht ist das die Unsterblichkeit.
Günther Loewit, Kosinsky und die Unsterblichkeit. Eine Recherche. Roman.
Innsbruck: Skarabaeus 2004. 149 Seiten. EUR 17,-. ISBN 3-7082-3155-4.
Helmuth Schönauer, 06-01-2005