aut (Hrsg.), reprint ein lesebuch zu architektur und tirol

Buch-Cover„Reprint“ ist ein Lesebuch, in dem die Diskussion zur Architektur in Tirol anhand von zeitgenössischen Textes wieder erlebt werden kann.

Wenn das Thema auf den ersten Blick vielleicht ein wenig technisch und trocken erscheinen mag, erkennen wir nach einem weiteren Blick sehr rasch, wie sehr uns diese Diskussionen, die großteils bereits vor langer Zeit stattgefunden haben, auch heute noch betreffen. Ob wir wollen oder nicht: Architektur ist einfach unübersehbar und sticht ins Auge, manchmal angenehm, manchmal mehr als einem lieb ist.

Mehr als 120 Texte aus knapp 100 Jahren Tiroler Architekturgeschichte lassen die Veränderungen, die das Bild unseres Landes geprägt haben - in Sprache gegossen - Revue passieren.

Dieser ,buchstäblichen’ Diskursgeschichte, die sich in Manuskripten, Zeitungen, Zeitschriften, Büchern und anderen Medien im Laufe der vergangenen hundert Jahre angesammelt hat, widmet sich diese Publikation, die einen fiktiven ‚Sprachraum’ zu umschreiben versucht, der sich zwischen den beiden Begriffen ‚Architektur’ und ‚Tirol’ entfaltet. Das suchenden Schreiben in diesem Spannungsfeld ist zentrales Motiv und kleinster gemeinsamer Nenner der hier abgedruckten Texte.
(Arno Ritter, S. 12)

Die Textauswahl beginnt mit Beiträgen aus der Zeit der ausgehenden Monarchie, einer Zeit als in Tirol der Fremdenverkehr zunehmend als ernstzunehmender Wirtschaftsfaktor erkannt wurde und diese Entwicklung im Bereich der Architektur Auswirkungen zu zeigen begann. Die ersten Texte sind thematisch vor allem eine Auseinandersetzung mit der Architektur in den Bergen und Landregionen, aber auch mit den Ängsten einer Zeit im gesellschaftlichen Wandel. „Über den Niedergang ländlicher Baukunst“ von Hans Illmer, „Regeln für den, der in den Bergen baut“ von Adolf Loos und „Bauformen der alpinen Schutzhütten“ von Karl Giannoni sind nur einige Aufsätze aus diesem Bereich.

Nach dem Ende des 1. Weltkriegs fand die Diskussion um die Architektur der Moderne rund um Lois Welzenbacher und Oskar Kleschatzky auch in Tirol statt. Es gab aber auch zahlreiche allgemeine Überlegungen und Initiativen zur Wohnkultur, wie die Tätigkeiten des „Vereins für Heimatschutz in Tirol“ zeigen oder Artikel wie „Allgemeines über Raumausschmückung“ von Josef Manfreda.

Weitere Texte führen über die Zwischenkriegszeit, in die Zeit des Nationalsozialismus bis in die Nachkriegszeit, wo vor allem der Wiederaufbau und der Neuanfang im Mittelpunkt standen. Der Innsbrucker Architekt Ernst Hortner schrieb 1948 in der Wochenzeitung „Stimme Tirols“ im Beitrag: „Wege – Irrwege – Auswege. Betrachtungen zur Lage der Baukunst“:

Es mag abwegig erscheinen, sich heute schon Gedanken zu machen über Wege und Aussichten kommender Baukunst, da wir derzeit doch nicht einmal die dringendsten Forderungen der Bauchtechnik, d.h. des nackten Bedürfnisses nach Wiederaufbau erfüllen können, für jene aber weder Zeit noch Mittel da sind, so daß man heute mehr von Flickerei und Murks als von wahrem Bauen reden müßte.
(Ernst Hortner, S. 119)

Hinter den zahlreichen Fassaden und Mauern in unserem Land stehen immer auch Menschen die sich mit dem Aussehen von Häusern, Baukomplexen oder sogar ganzer Ortsbilder intensiv beschäftigten und darüber öffentlich diskutierten. Ein Beispiel für diese Diskussion ist der Bau des Olympischen Dorfes anlässlich der Winterspiele 1964. Die Umsetzung stieß bei zahlreichen Architekten auf wenig Gegenliebe und löste heftige Diskussionen über städtebauliche Maßnahmen in Innsbruck aus. Zu den bekanntesten Kritikern zählte damals der Architekt Josef Lackner:

Das Inntal ist enger geworden – das ganz und gar nicht dörfliche ‚Olympische Dorf’ liegt als Koloß in dessen Mitte. Die städtebauliche und architektonische Konzeption – falls man ein finden will – gigantisch-naiv oder naiv-gigantisch. Die Planung lag in den Händen der Behörden und dürfte deren optimalen Architekturvisionen entsprechen. [...] Die Sportler aus aller Welt haben ihr Quartier. Ob die späteren Bewohner ein wirklich zeitgemäßes Zuhause haben, muß wieder einmal bezweifelt werden.
(Josef Lackner, S. 152f)

In einem anderen Beispiel kommt der Glaube an den technischen Fortschritt der 60-iger und 70-iger Jahre ungebremst zum Ausdruck und vermittelt ein Stimmungsbild dieser Zeit. Der Architekt Robert B. Hartwig beschreibt 1972 die Beweggründe für sein neues „Raumzellenausstattungskonzept“:

Was sind nun konkret die zu erwartenden zukünftigen Ereignisse, die als Haupteinflüsse für das Verändern des Wohnkonzepts bevorstehen? Sie reichen von der Verwendung ultraleichter Materialien in der Architektur, über Lernmaschinen im Kinderzimmer, über die zentrale Datenbank im Heim, der Einführung des Bildtelefons, der Verwendung von nichtnarkotischen Drogen bis zum Einsatz von Haushaltsrobotern ... Diese Neuerungen sind voraussehbar und in Zukunftsstudien der entsprechenden Fachrichtungen analysierbar.
(Robert B. Hartwig, S. 194f)

Die Aufsätze und Essays die dreißig Jahre später erscheinen, muten weit weniger futuristisch an und setzen sich mit den veränderten Gegebenheiten des 21. Jahrhunderts, mit der zunehmenden Raumnot und mit der Suche nach der Stellung der Tiroler Architektur in der Gegenwart auseinander.

Mit dem „Lesebuch zu Architektur und Tirol“ ist den Herausgebern eine Zusammenstellung an Texten gelungen, in der sich die Entwicklung der Architektur in Tirol in den vergangenen 100 Jahren wiederspiegelt. Die Texte sind aber auch Zeugnisse intellektueller und gesellschaftlicher Auseinandersetzung in einem Land, das sehr stark von alten Traditionen und seiner geographischen Lage geprägt ist. Manche Diskurse, die wir in diesem Buch über Architektur in Tirol finden, scheinen noch lange nicht abgeschlossen zu sein. Der Blick in die Vergangenheit kann oft den Blick für die Gegenwart schärfen.

Was alle sehen können, fällt oft gar nicht mehr auf. Mit dem Buch ist es zweifellos gelungen, das Auge wieder zu öffnen und auf die wichtige Rolle der Architektur für die ästhetische Raumgestaltung und die durchdachte Entwicklung von Städten und Gemeinden aufmerksam zu machen, wovon nicht zuletzt auch unsere Lebensqualität abhängig ist.

aut (Hrsg.), reprint. ein lesebuch zu architektur und tirol
StudienVerlag, Innsbruck 2005, 368 Seiten, EUR 24, ISBN 3-7065-4032-0

 

Andreas Markt-Huter, 22-03-2005

Bibliographie

AutorIn

aut (Hrsg.)

Buchtitel

reprint. ein lesebuch zu architektur und tirol

Erscheinungsjahr

2005

Herausgeber

aut

Seitenzahl

368

Preis in EUR

EUR 24,-

ISBN

3-7065-4032-0

Kurzbiographie AutorIn

Arno Ritter und Claudia Wedekind sind Mitglieder des Teams von „aut - Architektur und Tirol“ dem ehemaligen „Architekturforum Tirol“.