Amanda Peters, Beeren pflücken

Andreas Markt-Huter - 10.05.2025

Amanda Peters, Beeren pflücken„An dem Tag, als Ruthie verschwand, waren die Kriebelmücken irgendwie besonders hungrig. Die Weißen in dem Laden, wo wir unsere Vorräte kauften, sagten oft, dass Indianer so gute Beerenpflücker sind, weil irgendwas Saures in unserem Blut die Kriebelmücken fernhält. Aber schon damals, als sechsjähriger Junge, war mir klar, dass das nicht stimmt. Kriebelmücken unterscheiden nicht.“ (S. 9)

Im Sommer 1962 reist eine Familie aus dem Stamm der Mi’kmaq von ihrer Heimat im kanadischen Nova Scotia nach Main, um Blaubeeren zu pflücken. Während der Arbeit auf dem Feld verschwindet eines Tages plötzlich die vierjährige Ruth spurlos. Verzweifelt macht sich die Familie auf die Suche, ohne Erfolg. Ruths sechsjähriger Bruder Joe, der letzte, der sie am Feldrand gesehen hat, leidet darunter, nicht besser auf sie achtgegeben zu haben.

Wie jeden Sommer kommen Indianerfamilien aus Nova Scotia und New Brunswick zur Beerensaison nach Main. Neben der vierjährigen Ruthie und ihrem sechsjährigen Bruder Joe arbeiten ihrer Eltern und ihre Geschwister Ben, Mae und Charlie auf dem Beerenfeld. Ruth wurde zuletzt von ihrem Bruder Joe gesehen, der am Vorabend ihres Verschwindens mit ihr auf einem großen Stein gesessen und die Krähen mit Brot gefüttert hatte.

Zunächst fällt gar niemandem auf, dass Ruth verschwunden ist. Ihre Mutter vermutet zunächst, dass sie sich versteckt hat, um nicht bei der Arbeit helfen zu müssen. Bald aber breitet sich Panik aus, weil sie nirgends zu finden ist. Von der Polizei erhalten sie keine Hilfe und auch ihr Arbeitgeber hat kein Verständnis für die schreckliche Notlage in der die Familie steckt. Als die Beerensaison vorbei ist, muss die Familie ohne ihre kleine Tochter nach Hause fahren.

An einem anderen Ort erinnert sich Norma, wie sie als Kind von Albträumen geplagt worden ist, in denen ein Bruder und eine Frau vorkommen, die am Feuer sitzen. Sie erinnert sich an den Geruch der Frau, den Klang ihrer Stimme und wie sie ihre Hände bei einem Gewitter trösteten. Normas Versuche von ihren Träumen zu berichten, lösen bei ihrer Mutter heftige Abwehrreaktionen aus. Zudem setzen ihre Eltern alles daran, sie möglichst von anderen Kindern und Menschen fernzuhalten. Norma ahnt, dass ihre Eltern etwas zu verbergen haben, das mit ihrer Vergangenheit zu tun hat.

Der Roman „Beeren pflücken“ erzählt die berührende Geschichte von der Entführung eines Kindes aus den Perspektiven von Joe und Norma und zeigt die Auswirkungen dieser Tat auf sowohl auf das Kind als auch auf seine Familie. Daneben kommen auch die schwierigen Lebensverhältnisse der Native-Americans in Kanada zur Sprache.

Amanda Peters gelingt es aus verschiedenen Perspektiven die verschiedenen Beweggründe, Ängste und Schulgefühle psychologisch einfühlsam in einem spannenden Roman zum Ausdruck zu bringen. Auch wenn sich die finale Richtung der Erzählung bald erkennen lässt, hält die überaus lesenswerte Geschichte die Leserinnen und Leser fest in ihrem Bann.

Amanda Peters, Beeren pflücken. Übers. v. Brigitte Jakobeit [Orig. Titel: The Berry Pickers], ab 16 Jahren
Hamburg: Harper Collins Verlag 2025, 320 Seiten, 24,70 €, ISBN 978-3-365-00944-4

 

Weiterführende Links:
Harper Collins Verlag: Amanda Peters, Beeren pflücken
Wikipedia: Amanda Peters (engl.)
Wikipedia: Brigitte Jakobeit

 

Andreas Markt-Huter, 12-03-2025

Bibliographie
Autor/Autorin:
Amanda Peters
Buchtitel:
Beeren pflücken
Originaltitel:
The Berry Pickers
Erscheinungsort:
Hamburg
Erscheinungsjahr:
2025
Verlag:
Harper Collins Verlag
Übersetzung:
Brigitte Jakobeit
Seitenzahl:
320
Preis in EUR:
24,70
ISBN:
978-3-365-00944-4
Lesealter:
Altersangabe Verlag:
o.A.
Zielgruppe:
Kurzbiographie Autor/Autorin:
Amanda Peters ist eine Schriftstellerin mit Mi'kmaq- und Siedlerabstammung. Sie hat einen Abschluss in Kreativem Schreiben von der University of Toronto und ist Absolventin des Master-of-Fine-Arts-Programms am Institute of American Indian Arts in Santa Fe. Amanda Peters lebt und schreibt im Annapolis Valley, Nova Scotia, zusammen mit ihren Fellbabys Holly und Pook.

Brigitte Jakobeit wurde in Hirschfeld geboren und studierte Anglistik, Romanistik, Germanistik und Biologie. Anschließend arbeitete sie als Journalistin und Redakteurin. Brigitte Jakobeit lebt in Hamburg und überträgt als Übersetzerin seit 1989 englischsprachige Literatur ins Deutsche.