Xaver Bayer, Aus dem Nebenzimmer
Es ist wie beim berühmten Stein, den man am Wegrand kurz wegdreht, und darunter tummelt sich ein Kosmos von Getier in voller Bewegung.
Xaver Bayer hat den Stein der literarischen Gegenwart kurz umgedreht und darunter wuseln Dutzende Erzählungen, fiktionale Hotspots und Mini-Essays aus den letzten fünfzehn Jahren. Knapp fünfzig Texte lassen sich für den Leser als Geräusche, Gerüchte und Gerüche aus dem Nebenzimmer zusammenfassen. Der Leser steht jeweils im aktuellen Hauptraum seiner Empfindungen und aus dem Nebentrakt tauchen dann plötzlich diese seltsam abgerundeten, beinahe verstümmelten Erzählfragmente auf.
„Unser Universum ist komplex, dass viele Forscher ihr ganzes Leben damit zubringen, hinter seine größten Geheimnisse zu kommen. Und es gibt noch viele Geheimnisse, die gelüftet werden müssen! Aber keine Sorge, Professor Astrokatz hilft dir weiter – schließlich bin ich einer der cleversten Kater, die hier so herumstreunen.“ (5)
„Dennoch glaube ich, dass Forscher aus den Sozialwissenschaften wie allen anderen Disziplinen, Journalisten und Kommentatoren sämtlicher Medien, Gewerkschaftler und politische Aktivisten aller Richtungen, und vor allem sämtliche Bürger ernsthaft über Geld nachdenken sollten […]. Diejenigen, die viel davon haben, werden gewiss nicht vergessen, ihre Interessen zu verteidigen. Von den Zahlen nichts wissen zu wollen, dient selten der Sache der Ärmsten.“ (793)
„[…] »Das Haus wurde mit dieser Schräge gebaut. Wenn Sie es nicht glauben, kann ich Ihnen die Baupläne im Original zeigen.« Mama fragte zweifelnd: »Sie meinen, das ganze Haus ist so?« »Ja, so ist es. Jedes Zimmer.« »Warum baut jemand ein Haus mit schrägen Böden? « »Ich weiß es nicht«, antwortete Mrs. Fleming und sah auf ihre Uhr. »Es ist ziemlich geheimnisvoll. «“ (8)
Städte historischer Verdichtung sind immer auch mit Gewalt konfrontiert. Die ukrainische Stadt Lviv ist im letzten Jahrhundert stets auch ein Ort brachialer Vernichtung gewesen, so dass man Übersetzungen aus dieser Stadt gerne etwas abmildert. Aus dem „Tango des Todes“ ist im Deutschen jetzt das Proust-sachte „Im Schatten der Mohnblüte“ geworden.
„Cale war ein Drache zugeteilt worden, der nicht fliegen konnte, der über seine eigenen Füße stolperte, der nicht gehorchte und sich von allem und jedem ablenken ließ. Wie sollte Cale es da nur schaffen, Mondrago bis zu seiner Burg zu bringen?“ (27)
Nur selten gelingt es einem Helden, das abgehangene Spätlebensalter als geerdetes Kind auf einem Traktor zu verbringen und dabei die Leser zu verzücken.
„Als Ede nach Hause kommt, sitzen seine Geschwister schon in der Küche. Auf dem Küchentisch liegt die Schatzkarte. Sie überlegen gemeinsam: Was mag das wohl für ein Schatz sein? Vielleicht ein Koffer voll mit Regenwürmern? Es könnte auch ein Wortschatz sein.“ (11)
Die Welt ist alles, was der Fallwind ist, sagt ein kauziger Typ über die Alpen, deren Haupt-Merkmal vielleicht der Föhn ist. Und egal wo Nord- oder Südtirol tagsüber politisch hin driften, nächtens fließt der Föhn und kratzt die Bewohner auf und bringt sie in Wallung.
„Ein ausgewachsener afrikanischer Elefant wiegt circa 4 bis 5 Tonnen. Das ist in etwa das Gewicht dessen, was ein anderes Tier an einem einzigen Tag in sich hineinschlingt.“ (10)