Elias Schneitter, Zirl.Innweg 8

Alles Neue beginnt mit einer Krankheit, weil Neues nur entstehen kann, wenn das Alte abgeworfen wird, und das Loswerden des Alten bezeichnet Egon Friedell als Krankheit.

In Elias Schneitters Erzählung „Zirl. Innweg 8“ kämpft ein erzählendes Ich ein Leben lang damit, die Kindheit im Lebensprogramm unterzubringen und als gelungen zu beschreiben.

Wenn man so will, endeten meine Kindheit und frühe Jugend mit einer seltsamen Krankheit, die mich jahrelang in ihren Fängen hielt, aber schließlich entstand daraus mein Leben als Erwachsener. (63)

Unter dem lapidaren Titel einer Bauparzelle wird eine Kindheit am unteren Ende der Wirtschaftskraft beschrieben. Das beginnt damit, dass nach dem Krieg ein Stück Brachland gerodet und den Kriegsheimkehrern zur Errichtung einer Siedlung zugewiesen wird. Mit nichts als Arbeitswut in den Armen und Lust auf Vergessen im Kopf beginnen in den fünfziger Jahren die Menschen bei null, und dazu gehört auch, dass sie sich frische Kinder machen.

Die Kinder sind meist aus verworrenen Verhältnissen entstanden und jetzt einfach da, obwohl für sie nichts vorgesehen ist. Sie scharen sich um einen Schotterplatz zum Fußballspielen, wühlen sich durch die Schätze der Mullhalden und kämpfen sich durch das imaginäre Reich der Bildung, die manchmal mit unbarmherzigen Witz, oft aber auch mit purer Prügelkraft von devastierten Pädagogen den Kids eingedroschen wird.

Obwohl die Kindheit immer als unverwechselbare Singularität auftritt und für ein bestimmtes Individuum vorgesehen ist, legt der Erzähler darauf Wert, dass er nur Teil eines Kinder-Kollektives ist, das seinerseits Teil eines Dorf-Kollektivs ist. Denn alle Episoden sind zwar unverwechselbar auf heldische Personen zugeschnitten, sie funktionieren aber nur, weil ein heroisches Umfeld diese Geschichten erst ermöglicht.

So sind die einzelnen Sequenzen auch mit einem „Proleten-Plural“ der besten Art überschrieben: Wir hatten eine sehr unbeschwerte Kindheit. (5) – Wir hatten auch eine bittere Kindheit. (8) – Wir hatten auch eine sehr bescheidene Kindheit. (11) – Wir hatten auch eine unheimliche Kindheit. (13)

Während die Alten offen oder hintenherum Alkohol tanken müssen, damit der Körper sich überhaupt durch den Alltag bewegt, versuchen die Kids mit der Kraft der Illusion und des Witzes jene Illumination zu generieren, die für ein Überleben im Alltag notwendig ist.

Als etwa eine Großmutter die Kids immer mit der Fügung vom Sportplatz heimholt, „sonst sterbe ich“, beschließen die Kids, sie einfach sterben zu lassen, was diese aber nicht tut.

Der Ich Erzähler kämpft vor allem mit dem Bildungssystem, das für Menschen in der Randzone zur damaligen Zeit nichts vorhat. So ist denn auch der Berufswunsch zu erklären, Fußballprofi oder Chefkoch!

Mit unsäglich diskriminierenden Prüfungshürden werden ganze Jahrgänge aus der offiziellen Karriere eliminiert, was bleibt, ist nur der Lebenswitz beim Betreten der Lebensbühne durch die Hintertüre. Schließlich empfindet der Ich-Erzähler zur Vorsicht das ganze Leben als Krankheit und rettet sich mit einer Survival-Disease.

Elias Schneitter erzählt knapp am Autobiographischen entlang von einer ungeschönten Wunderwelt, die sich nur durch Erzählen dokumentieren lässt, so fern und nah zugleich pfeift sie aus allen Ritzen durch die Gegenwart. – Berührend klar und unbarmherzig geradlinig.

Elias Schneitter, Zirl.Innweg 8. Erzählung.
Innsbruck, Wien: Kyrene 2013. 63 Seiten. EUR 12,50. ISBN 978-3-902873-32-3.

 

Weiterführende Links:
Kyrene-Verlag
Wikipedia: Elias Schneitter

 

Helmuth Schönauer, 02-08-2013

Bibliographie

AutorIn

Elias Schneitter

Buchtitel

Zirl.Innweg 8

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2013

Verlag

Kyrene Verlag

Seitenzahl

63

Preis in EUR

12,50

ISBN

978-3-902873-32-3

Kurzbiographie AutorIn

Elias Schneitter, geb. 1953 in Zirl, lebt in Zirl.