Elisabeth Zöller, Vaters Befehl oder Ein deutsches Mädel

„Die Entscheidung ist für mich klar. Ich verrate niemanden. Ich sage kein Wort. Papa hat sich für den Führer entschieden und ist sein treuer Handlanger geworden. Alles, was er tut, geschieht aus Überzeugung, wie er sagt. Er hat sich gegen mich entschieden, nicht umgekehrt.“ (236)

Paula kommt aus einer durch und durch nationalsozialistischen Familie. Ihr Vater ist seit 1931 Mitglied der NSDAP und als Major der Schutzpolizei für Juden- und Räumungsangelegenheiten in Münster zuständig, wobei er eng mit der Gestapo zusammenarbeitet. Ihre Mutter leitet in der NS-Frauenschaft das Winterhilfswerk. In ihrer Jugend wollte sie nach Abschluss ihres Abiturs gern Ärztin werden. Nachdem ihr das Studium verweigert worden war, konnte sie nur Krankenschwester werden. Paula selbst ist aktiv im BDM tätig, im Bund deutscher Mädels, wo sie es gerade erst zur Schaftführerin gebracht hat.

Da gibt es aber auch noch Paulas beste Freundin Mathilda, die Halbjüdin ist und die sie immer seltener treffen kann, seit sie Privatunterricht erhält, nachdem jüdische Kinder vom regulären Unterricht ausgeschlossen worden sind. Mathildas Mutter ist jüdischer Herkunft und bemalt als Künstlerin große Leinwände. Ihr Vater ist Medizinprofessor und leitet eine Privatklinik im Münsterland. Mathilda lebt mit ihrer Familie in einer großen, prächtigen Villa und lädt Paula immer wieder zu Reitnachmittagen ein.

Paula erhält anlässlich ihrer Ernennung zur Schaftführerin eine Ausgabe von Hitlers „Mein Kampf“ mit einer persönlichen Widmung Adolf Hitlers. Alle in der Familie sind glücklich und stolz, was auch die gelegentlichen Bombenangriffe auf Münster vergessen lässt.

Als Paula sich mit Mathilda am nächsten Morgen zum Reiten trifft, zeigt ihr Mathilda hinter einem Baum einen Hohlraum, den sie künftig als Geheimbriefkasten verwenden wollen, wo sie Geheimnisse austauschen wollen, die niemand sonst erfahren soll. Ihr Leitsatz lautet: „Verlässt du mich nicht, verlass ich dich auch nicht.“

Paulas Alltag besteht aus Schule, Bombenangriffen und ihrer neuen Tätigkeit als Schaftführerin im BDM, wo ihrer Freundinnen ihre neue Stellung mit Freude und Neid betrachten. Weder ihrer Familie noch ihre Freundinnen aus dem BDM dürfen ahnen, dass sie sich noch heimlich mit der Halbjüdin Mathilda trifft und Nachrichten mit ihr austauscht.

Als Mathilda Paula eines Tages offenbart, dass sie um ihr und das Leben ihrer Familie fürchtet, will sie zunächst nichts davon hören und ist davon überzeugt, dass Mathilda maßlos übertreibt.

„Vater muss die Leitung seiner Klinik abgeben. Und weißt du warum? Weil er sich weigert, sich von meiner Mutter scheiden zu lassen. Kannst du dir das vorstellen? Mein Vater soll sich scheiden lassen, weil Mama Jüdin ist.“

Es wird immer schwieriger und gefährlicher für Paula mit ihrer Freundin Mathilda Kontakt aufzunehmen. Obwohl sich Paula in Werner Reuter, der bei der Hitler Jugend tätig ist, verliebt, erhält ihr Bild vom Segen des Nationalsozialismus zunehmend Risse. Da ist einmal ihr neuer Geschichtslehrer, Herr Ackermann, ein pensionierte Lehrer, der aus seiner kritischen Haltung zum Nationalsozialismus und seiner Vorliebe für Aufklärung und selbständiges Denken kein Hehl macht. Auf der anderen Seite beginnt sie ihren Vater und seine Arbeit bei der Schutzpolizei zunehmend kritisch zu hinterfragen.

Mathilda kündigt eines Tages an, dass ihre Familie aus Deutschland fliehen will und Paulas Familie in ein großes vornehmes Haus übersiedelt, das früher von Juden bewohnt worden war, beginnt Paula an ihren alten Werten zu zweifeln. Als der Kontakt zu Mathilda endgültig abbricht und Paula befürchtet, dass ihre Familie verhaftet worden ist, verfolgt sie eines Tages ihren Vater auf dem Weg zur Arbeit und muss erkennen, dass dieser eine führende Rolle aber der Deportation von Juden trägt. Es kommt zum folgenschweren Eklat.

Elisabeth Zöller zeigt die Entwicklung eines jungen Mädchens von einer überzeugten nationalsozialistischen Jugendlichen zu einer selbständig denkenden und sich auflehnenden jungen Frau. Dabei muss sie ihren Blick gegen alle Überzeugungen ihrer Familie und die gesellschaftliche Meinung ausrichten und sich zwischen ihrer Freundschaft zu einem jüdischen Mädchen und die Liebe für ihren Vater entscheiden.

Die Leserinnen und Leser erleben hautnah mit, wie schwierig sich Sichtweisen und Urteile gestalten können, wenn der eigene Blick durch ideologische Brillen verstellt wird. Wenn sich außerdem herausstellt, dass der eigene, verehrte Vater noch eine andere Seite besitzt, nämlich die des Verbrechers und Menschenhassers, fällt es schwer, nicht den Boden unter den Füßen zu verlieren. Ein bewegender Roman, der einen neuen Blick auf die Wirklichkeit zur Zeit der NS-Herrschaft eröffnet. Unbedingt lesen!

Elisabeth Zöller, Vaters Befehl oder Ein deutsches Mädel. Ab 12 Jahren
Frankfurt a. Main: Verlag Fischer Schatzinsel 2012, 269 Seiten, 13,40 €, ISBN 978-3-596-85447-9

Weiterführender Link:
Verlag Fischer Schatzinsel: Elisabeth Zöller, Vaters Befehl oder Ein deutsches Mädel
Wikipedia: Elisabeth Zöller

 

Andreas Markt-Huter, 10-04-2013

Bibliographie

AutorIn

Elisabeth Zöller

Buchtitel

Vaters Befehl oder Ein deutsches Mädel

Erscheinungsort

Frankfurt am Main

Erscheinungsjahr

2012

Verlag

Fischer Schatzinsel

Seitenzahl

269

Preis in EUR

13,40

ISBN

978-3-596-85447-9

Lesealter

Zielgruppe

Kurzbiographie AutorIn

Elisabeth Zöller ist eine der bekanntesten und erfolgreichsten Kinder- und Jugendbuchautorinnen Deutschlands. Für ihr Engagement gegen Gewalt wurde sie mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Sie lebt mit ihrer Familie in Münster.