Laura Amy Schlitz, Clara und die Magie des Puppenmeisters

„Menschen können sich nicht in Puppen verwandeln“, hielt Lizzie Rose dagegen. „Grisini kann sie verwandeln“, entgegnete Parsefall unbeirrt. „Du kennst ihn nich´. Nich´ so wie ich.“ Er legte Clara auf seinen Schoß. „Ich wette, so hat er es mit den anderen auch gemacht. Er hat se entführt und dann verwandelt …“ (166)

Clara Wintermute feiert ihren zwölften Geburtstag und hat sich als besonderes Geschenk für ihre Geburtstagsfeier eine Puppenspielaufführung des berühmten Puppenmeisters Professor Gaspare Grisini mit seinen venezianischen Fantoccini gewünscht. Die Aufführung und die Begegnung mit Grisinis Gehilfen, den beiden Waisenkindern Elizabeth Rose Fawr und dem jüngeren Parsefal Hooke sollte ihr weiteres Leben für immer verändern.

Seitem Clara als einziges von fünf Kindern die Cholera überlebt hat, herrscht im Haus der Wintermutes eine bedrückende Trauerstimmung. Vor allem Claras Mutter lebt nur noch in der Erinnerung an ihre toten Kinder und vergisst dabei fast ganz auf Clara. Ihr Vater Dr. Wintermute ist ein angesehener Hausarzt der gehobenen Londoner Gesellschaft und verbringt viel Zeit außer Haus. Clara spürt die Trauer und Distanz ihrer Eltern, die sich mehr für ihre toten Geschwister als sie zu interessieren scheinen. Umso mehr freut sich Clara, dass ihr Geburtstagswunsch nach einer Puppenspielaufführung in Erfüllung geht.

Bereits vor der Aufführung lernt Clara die beiden jungen Gehilfen des Puppenmeisters Grisini kennen. Lizzie Rose, die ältere der beiden, wurde von Professor Grisini aufgenommen, nachdem ihre beiden Eltern an Diphterie verstorben waren, und Parsefal war direkt aus dem Waisenhaus unter die Vormundschaft Grisinis gekommen.

Während der Aufführung ist Clara vom Puppenspiel wie gefesselt und bekommt beim Tanz des Skeletts auf dem Friedhof schließlich einen unkontrollierten Lachanfall, woraufhin ihre Mutter entsetzt das Zimmer verlässt. Als sich Clara beim zu Bett gehen bei ihrer Mutter entschuldigen will, trifft sie auf Professor Grisini, der sich im Haus versteckt hat und sie mit Hilfe seiner magischen Taschenuhr in eine Marionettenpuppe verwandelt und mitnimmt, um von ihren Eltern Lösegeld zu erpressen.

Bald schon wird Clara vermisst und gesucht, wobei der Verdacht der Polizei rasch auf Grisini fällt. Eine Hausdurchsuchung bleibt allerdings ergebnislos, weckt aber bei Lizzie Rose und Parsefal den Verdacht, dass ihr Vormund der Entführer sein muss und bereits in der Vergangenheit ähnliche Verbrechen begangen haben muss. Lizzie Rose nimmt heimlich Kontakt mit der Polizei auf, weil sie Clara retten will. Grisini ahnt jedoch den Verrat und nach einem heftigen Streit kommt es zu einem Unfall, bei dem der betrunkene Puppenmeister die Treppe hinabstürzt und reglos liegenbleibt.

In Westmorland auf Schloss Strachan´s Ghyll versucht währenddessen die todkranke Hexe Cassandra Sagredo ihrem Fluch zu entkommen, der seit des Diebstahls des magischen Feueropals, des Phönixsteins, auf ihr lastet. Mit Hilfe ihrer Zauberkraft, lässt sie den schwerverletzten Grisini zu sich kommen, von dem sie sich Hilfe erhofft.

„Antworten Sie mir! Das Feuer wird mich vernichten, es sein denn. Es sein denn was?“ „Es sei denn, der Feueropal wird gestohlen.“ Hoffnung flackerte in ihrem Gesicht auf, wich jedoch sogleich einem Ausdruck von Misstrauen. „Sie haben versucht, ihn zu stehlen, und es war unmöglich“, hielt Cassandra entgegen. „Ich war kein Kind.“ (182f)

Cassandra und Grisini hecken einen teuflischen Plan aus und locken Lizzie Rose und Parsefal nach Strachan´s Ghyll unter dem Vorwand ihnen das Schloss und die Reichtümer vererben zu wollen. Sie brauchen ein Kind um den Phönixstein stehlen zu lassen. Cassandra erhofft sich davon ihre Rettung und Grisini, dass er die Zauberkraft des Steins für seine Zwecke gewinnen kann. Lizzie Rose und Parsefal machen sich, mit der in eine Puppe verzauberten Clara im Gepäck, auf den Weg nach Westmorland, ohne die drohende Gefahr zu ahnen.

Laura Amy Schlitz‘ Kinderroman „Clara und die Magie des Puppenmeisters“ zieht die Leserinnen und Leser von Anfang an in ihren Bann zu ziehen. Dabei lebt die Geschichte sowohl von ihrer dunklen und bedrohlichen Atmosphäre als auch von ihren unschuldigen Protagonisten: drei Kinder, von den zwei Waisenkinder sind und eines sich von ihren Eltern innerlich verlassen fühlt, stehen einer dunklen Hexe mit magischen Kräften und einem verbrecherischen Zauberer gegenüber.

Obgleich die Kräfteverhältnisse dem ersten Anschein nach ungleicher nicht verteilt sein könnten, verliert man als Leser nie die Hoffnung, dass sich die Stärken der Kinder, wie Mitgefühl, Lebenslust, Mitleid und vor allem aber ihr unschuldiges und hilfsbereites Wesen letzten Endes durchsetzen werden.

Viel zur Atmosphäre des Romans, der im London und England des 19. Jahrhunderts spielt, tragen auch die sozialen Gegensätze zwischen den reichen Stadtbewohnern und den armen Waisenkindern sowie die Beschreibung der unterschiedlichen Lebensverhältnisse bei, die vielleicht nicht zufällig an Charles Dickens erinnern.

Insgesamt ist „Clara und die Magie des Puppenmeisters“ ein überaus empfehlenswerter und spannender Roman, der nicht nur Kinder sondern auch Erwachsene zu begeistern vermag und sowohl durch seine atmosphärische Dichtung als auch stringente Geschichte zu überzeugen vermag.

Laura Amy Schlitz, Clara und die Magie des Puppenmeisters. Ill. v. Joachim Knappe, übers. v. Eva Plorin [Orig. Titel: Splendors and Glooms], ab 10 Jahren
Stuttgart: Thienemann Verlag 2013, 512 Seiten, 15,40 €, ISBN 978-3-522-18303-1

Weiterführende Links:
Thienemann Verlag: Laura Amy Schlitz, Clara und die Magie des Puppenmeisters
Wikipedia: Laura Amy Schlitz (engl.)

Andreas Markt-Huter, 19-02-2014