Marcin Szczygielski, Hinter der blauen Tür

„Immer wieder muss ich an diesen Tag denken, obwohl er schon über ein Jahr zurückliegt. Aber irgendwie ist es auch klar – schließlich ist damals mein ganzes Leben über den Haufen geworfen worden. Ich war gerade mal elf Jahre alt und konnte viele Dinge noch nicht so gut verstehen.“ (7)

Lukasz Borski und seine Mutter leben allein in Warschau. Seinen Vater hat er nie kennengelernt und seine Mutter wehrt alle seine Fragen nach ihm vehement ab. Auf ihrer Fahrt in den Urlaub kommt es zu einem folgenschweren Unfall, als ein entgegenkommendes Auto auf ihre Fahrbahn kommt. Lukasz wird schwer am Bein verletzt, während seine Mutter im Koma liegt und mit ihrem Leben kämpft. Die Wohnung muss verkauft werden und Lukasz von einem Tag auf den anderen bei seiner Tante Agata wohnen, von der er bis zu diesem Augenblick noch nie etwas gehört hat.

Tante Agata ist die Besitzerin des „Hohen Kliffs“ einen schlossartigen Feriendomizils im kleinen Dorf Brzeg an der polnischen Ostsee. Schon Lukasz Großeltern hatten die Pension geführt, die seine Tante Agate für zirka drei Monaten im Jahr an Gäste vermietet. So oft er kann, erkundigt er sich telefonisch nach dem Zustand seiner Mutter, während er das Haus, in dem sie in ihrer Kindheit gelebt hat, immer besser kennen lernt. Von seiner Tante erfährt er, dass sein Vater, Wanderarbeiter, kurz vor der Hochzeit mit seiner Mutter, auf mysteriöse Weise verschwunden sei.

Lukasz fühlt sich nicht wohl bei seiner Tante, was durch einen Zusammenstoß mit den etwa gleichaltrigen Nachbarkindern Floh, Mona und Biss nicht gerade verbessert wird. Vor allem der übergewichtige Floh versucht ihm das Leben schwer zu machen. Als Lukasz erfährt, dass die Wohnung in Warschau verkauft worden ist und er nun in der Nähe von Brzeg in die Schule besuche soll, stellt er sich vor wie er jeden Tag mit Mona, Biss und vor allem Floh im Bus in die Schule fahren wird.

Wütend und verzweifelt sperrt er sich in sein Zimmer ein und schlägt wie verrückt gegen die Tür, als er plötzlich bemerkt, dass sich der Klopfton merkwürdig verändert hat. Als sich die versperrte Tür wie magisch öffnet, befindet sich hinter der Tür nicht der Korridor sondern eine fantastische Welt mit einer grünen Wiese umrahmt von Bäumen und Sträuchern, wo er über dem Gras eine Art Schlangenvogel mit durchsichtigen Flügeln, wie eine Libelle, fliegen sieht.

Lukasz glaubt verrückt geworden zu sein, als ihn das Klopfen seiner Tante aus seinem Staunen reist. Als er die Tür öffnet, findet er sich auf dem vertrauten Flur der Pension wieder. Bald schon macht sich Lukasz erneut auf den Weg in die Silberwelt hinter der blauen Tür, ohne zu ahnen, dass dort auch gruselige Wesen lauern, die ihn und seine Tante in große Gefahr bringen werden.

Marcin Szczygielski ist ein Autor mit viel Gefühl für die feinen Nuancen einer Handlung, was sich den Leserinnen und Lesern jedoch erst am Ende der Geschichte offenbart, das eine große Überraschung birgt, die hier selbstverständlich nicht verraten werden soll. Nur so viel: die merkwürdig nüchterne Erzählebene eines Jungen, der eine schweren Unfall hinter sich hat und dessen Mutter um ihr Leben kämpft, fügt sich in einem fulminanten Finale zu einem klaren Gesamtbild zusammen.

„Hinter der blauen Tür“ versteht es mit viel Fantasie die zahlreiche Facetten der Erlebniswelt eines zwölfjährigen spielerisch und großer erzählerischer Leichtigkeit in Bilder zu fassen, in denen seine Hoffnungen, Ängste, Sehnsüchte und Schrecken plastisch zum Ausdruck kommen. Ein überaus empfehlenswerter Kinder- und Jugendroman, der durch seine Sprache und Bilderwelt zu überzeugen und die Leserinnen und Leser immer tiefer in seinen Bann zu ziehen weiß.

Marcin Szczygielski, Hinter der blauen Tür. Übers. v. Thomas Weiler [Za niebieskimi drzwiami Latarnik], ab 10 Jahren
Frankfurt a. Main: Sauerländer Verlag 2016, 320 Seiten, 14,40 €, ISBN 978-3-7373-5372-4

 

Weiterführende Links:
Sauerländer Verlag: Marcin Szczygielski, Hinter der blauen Tür
Wikipedia: Marcin Szczygielski

 

Andreas Markt-Huter, 05-04-2017

Bibliographie

AutorIn

Marcin Szczygielski,

Buchtitel

Hinter der blauen Tür

Originaltitel

Za niebieskimi drzwiami Latarnik

Erscheinungsort

Frankfurt a. Main

Erscheinungsjahr

2016

Verlag

Fischer Sauerländer Verlag

Übersetzung

Thomas Weiler

Seitenzahl

320

Preis in EUR

14,40

ISBN

978-3-7373-5372-4

Lesealter

Zielgruppe

Kurzbiographie AutorIn

Marcin Szczygielski, geboren 1972 in Warschau, ist ein preisgekrönter Journalist und Autor und seit 2009 auch ein sehr erfolgreicher Kinderbuchautor.