Mittelschule Mariengarten (Hg.), Wer das liest, ist …

Erzählungen, die in einem Projektunterricht entstehen, haben oft den Charme großer Unverfrorenheit. Die jungen Autorinnen und Autoren können sich alles vom Leib schreiben, was sie gelesen und gehört haben, und müssen auf keinen Markt Rücksicht nehmen.

Krasse Geschichten nennt sich das Projekt „Wer das liest, ist …“, worin Staunen, Wertschätzung und Kopfschütteln mitklingen. Knapp zwanzig Autorinnen und Autoren, meist um das funkelnde Jahr 2000 geboren, legen ungebremst in allen Genres los, wobei das Auffallende die Zeitrechnung ist. Wenn jemand vom Jahre 1980 spricht, ist das schon uralt und von der wahrgenommenen Gegenwart so weit entfernt wie für unsereins vielleicht Kafka.

Wie respektlos erzählt werden muss, wenn man aus einer Geschichte das Letzte herauspressen will, zeigt die lustige Geschichte über Napoleon als schäbigen Kerl und Ich-Erzähler. Verkleidet geht er inkognito durch Paris und wird von zwei Rotzlöffeln überfallen und gefangen genommen. Als Belohnung für seine Freilassung bietet er den beiden einen Empfang im Schloss am nächsten Tag an. Die beiden Junggangster erscheinen gepflegt und pünktlich im Schloss und werden stracks auf die Guillotine gesetzt. – Die Moral dieser Geschichte geht durch Mark und Bein, denn schließlich wird sie heute noch fast überall in dieser perversen Form von den Mächtigen angewendet.

Ein Weltraum-Pilot macht sich auf den Weg zum Planeten Echser. Es ist nahe Zukunft und der Weltraum wird abgeflogen wie früher vielleicht das Autobahnnetz. Die Besatzung hat Glück, denn am Planeten des nächsten Haltepunktes gibt es Luft. Der Pilot setzt seine Mission unbeirrbar fort und ist stolz, dass er zu Hause einen Sohn hat, der an der Konsole Weltraum spielt. Er selbst wird ihn nicht mehr sehen, denn er hat ein Einwegticket.

Obwohl wir die Erde zurückgelassen haben, werden wir überleben. (33)

Im klassischen Sommer des Jahres 1982 kommt der Vater erschöpft nach Hause, er ist Feuerwehrmann bei der Navy und hat den ganzen Tag über Waldbrände gelöscht. Besonders fertig aber macht ihn, dass er beim Löscheinsatz auf einen Bunker gestoßen ist, in dem die NSA sitzt und ganz Europa abhört.

In einer Wahrsager-Geschichte spielen die Kids „Verheiraten“, dabei stehen die Farben Herz oder Laub zur Verfügung. Die Erzählerin hat ein so schlechtes Blatt, dass ihr allmählich die Psyche vertrocknet und sie in Laub übergeht.

In diesem klugen Erzählprojekt sind alle gängigen Genres abgeschöpft, Science-Fiction, Wissenschaftsroman, Herz-Schmerz, Krimi, historische Groteske. Die Geschichten sind frech und eigenständig und zeigen, wie das Lesen weiterwuchert, wenn es herausgeschrieben wird. Denn alle Autorinnen und Autoren haben zuvor jahrelang gelesen, ehe sie sich an das Schreibprojekt gewagt haben.

Mittelschule Mariengarten (Hg.), Wer das liest, ist … Krasse Geschichten
Bozen: Edition Raetia 2015, 144 Seiten, 9,90 €, ISBN 978-88-7283-535-7

 

Weiterführender Link:
Edition Raetia: Mittelschule Mariengarten (Hg.), Wer das liest, ist …

 

Helmuth Schönauer, 09-11-2015

Bibliographie

Buchtitel

Wer das liest, ist … Krasse Geschichten

Erscheinungsort

Bozen

Erscheinungsjahr

2015

Verlag

Edition Raetia

Herausgeber

Mittelschule Mariengarten (Hg.)

Seitenzahl

144

Preis in EUR

9,90

ISBN

978-88-7283-535-7

Lesealter

Zielgruppe

Kurzbiographie AutorIn

Das Projekt der Mittelschule Mariengarten wurde abgewickelt von Claudia Oberhollenzer, Martin Pichler und Maria Pirpamer.